Die Mär vom hilflosen Zahlvater
Kritische Anmerkungen von Axel und Bernhard zu einem Online-Beitrag eines Trennungsvaters.
Link: http://www.welt.de/vermischtes/article140550363/Ich-bin-der-Zahlvater-und-es-kotzt-mich-an.html
In dieser oder ähnlicher Form finden sich unzählige Internetbeiträge von betroffenen Vätern, die öffentlich ihre Klage über die Zustände verbreiten. Wir sahen uns zu einer grundsätzlichen Stellungnahme veranlasst, da seine Situation nicht ohne sein Zutun entstanden ist.
Zustimmung…
Übereinstimmend pflichten wir dem Autor oben genannter Erklärungen bei, wenn er sagt, dass Trennungsväter vom Staat in finanzieller Hinsicht konsequent benachteiligt werden. Die schlechtere Steuerklasse, das Vorenthalten eines Haushalts- oder Erziehungsfreibetrags, die Nichtabzugsfähigkeit des Kindesunterhalts oder auch der Kosten für den Umgang (Fahrt, Verpflegung, Wohnraum etc.) sind erhebliche Nachteile gegenüber verheirateten Vätern. Fiskalisch sind sie eben keine Familie und werden im Gegensatz zu (alleinerziehenden) Müttern nicht gefördert. In diesem Umstand sehen wir den Grund, der zur Verschärfung von Konflikten führt: Mütter sehen im alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. Sorgerecht verknüpft mit dem Großteil des Umgangs, eine Möglichkeit, mehr Unterhalt für sich herauszuschlagen. Auch deswegen weigern sich viele, einem Wechselmodell zuzustimmen.
Wir erkennen an, dass sich der Verfasser trotz der Schwierigkeiten um einen Umgang bemüht.
…und Ablehnung
Die Ansichten des Verfassers stoßen bei uns aber auf Ablehnung, wo er beschreibt, was er aus seiner Situation gemacht hat. Beim ersten Lesen ist man geneigt, die detaillierte Beschreibung der Gemütszustände nachzuvollziehen, in die „Mann“ in so einem Fall kommen kann, inklusive der Feststellung, dass man – bei aller echten Liebe zu den eigenen Kindern – wünscht, man hätte besser keine Nachkommen. Nebenbei erwähnt sei, dass eine Art „Reue“ sich aktuell auch unter Müttern findet, die sich durch die vielfältigen Einschränkungen in der täglichen Lebensführung behindert sehen und dies öffentlich zugeben.
Beim genauem Hinschauen offenbaren sich dann aber die Unstimmigkeiten des Beitrags. Er unterstellt allen Jugendamtsmitarbeitern, von vornherein auf Seiten der Mütter zu sein. Nach unserer Erfahrung dagegen bemühen sich die meisten, Einseitigkeiten auszugleichen. Um Details kümmern sie sich nur dann nicht, wenn das Arbeitspensum ihre Kräfte übersteigt.
Als nächstes spricht der Autor von einem Zermürbungskrieg, ohne dass er ein Verfahren für einem regelmäßigen und unabhängigen Umgang angestrengt hätte. Er überlässt alles vielmehr den Launen der Exfrau und beklagt sich, dass er sich ohnmächtig fühlt und er den Kontakt zu seinen Kindern verliert. Wir hingegen sehen in den gerichtlichen Entscheidungen, die wir angestrengt haben, einen wichtigen Beitrag, dem Kind zu signalisieren, dass wir für es zu kämpfen bereit sind und meinen, ein regelmäßiger Umgang sei unablässig, wenn man für das Kind ein verlässlicher Vater sein will. Zur Not auf Anordnung hin. Axel bedauert im Nachhinein, die ersten beiden Jahre nach der Trennung nichts unternommen zu haben, weil er feststellen muss, dass seine Töchter in totale Ablehnung gingen (PAS-Syndrom). Er ist sich nach wie vor nicht sicher ob sein „Zurückhalten“ langfristig helfen wird.
Mütterliche Feindseligkeit und das Fehlen von Korrektiven tun da ungehemmt ihre Wirkung. Erst ganz langsam öffnen sich beide wieder, und das, obwohl er viele Jahre als Hausvater für sie immer da war und jahrelang Hauptbezugsperson für die Kinder war (Mutter Vollzeitjob, er Teilzeit).
Was uns am meisten befremdet ist das Verharren des Autors in einer Art emotionalen Schockstarre. Und um die aufrecht zu erhalten sucht er sich Zustimmung in diversen Foren oder Vätertreffs. Klar, im ersten Moment nach dem Zerbrechen einer Partnerschaft sind Ideale zerstört, Verletzungen zu heilen, Ungerechtigkeiten und allerhand Angriffe auszuhalten und ein neuer Modus Vivendi zu finden. Nach der Bestandsaufnahme haben wir deswegen vieles unternommen um uns wieder zu stabilisieren. Und dazu gehören regelmäßige Arbeit, ein verstehender Freundeskreis, ausfüllende Hobbys, körperliche Betätigung zum Abreagieren, möglicherweise eine Therapie (wir sagen lieber „Elternarbeit“), um fehlerhafte Muster zu erkennen, und last but not least eine neue Liebe. Uns erscheint es zu billig, im Sumpf zu versinken und sich zu beklagen, dass es einem so schlecht geht. Unser hauseigener Erfahrungsaustausch geht in eine ähnliche Richtung: Wir versuchen im Akutfall, dem Vater durch Solidarität, Anteilnahme und Tipps einen für ihn gangbaren Weg zu weisen, der ihn aufrichtet. Mit reinem Bedauern ist keinem geholfen.
Zuletzt finden wir es befremdlich, dass der leidende Vater seine gesamte Gemütslage von den Kindern bzw. dem Umgang mit ihnen abhängig macht. Er ist regelrecht deprimiert, wenn er sie nicht sieht oder sie verabschieden muss. Wir hingegen favorisieren einen unabhängigen Gemütszustand, denn es gab ein Leben vor dem Kind, und es wird ein Leben nach dem Kind geben, ohne dass man in eine ständige Trauer verfallen müsste. Erziehung sehen wir als eine Art Projekt, welches seinen Anfang und sein Ende hat, wie alle Projekte. Und wenn die Kinder nicht da sind, ist anzunehmen, dass das Leben andere Projekte fordert und die Kinder ihre Erfahrung woanders machen müssen. Und wenn sie da sind, wollen wir uns mit ihnen freuen, gemeinsame Unternehmungen machen und Fähigkeiten, Fertigkeiten, Weltanschauungen weitergeben. Von einem deprimierten Vater haben Kinder nicht viel, im Gegenteil, sie lehnen ihn unbewusst schon deshalb ab, weil seine Anwesenheit niederdrückt. Und die Kinder sind letztlich überfordert, wenn sie für den Gemütszustand von Erwachsenen verantwortlich gemacht werden. Wir müssen zuerst gut für uns sorgen, dann können wir auch gut mit den Kindern umgehen.
Der korrekte Titel der Geschichte wäre also: Ich habe Möglichkeiten nicht erkannt und verpasst – und das kotzt mich an.
Axel und Bernhard