BIBEL IM UNTERRICHT?
Diplom-Arbeit von Bernhard Moser, eingereicht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwigs-Maximilians-Universität München, 1982, zum Thema :
Eine bibeldidaktische Untersuchung über Unmöglichkeiten, Möglichkeiten und Methoden des Einsatzes biblischer Text im Unterricht
Bibel ist immer wieder zu einer „Renaissance“ fähig, mag man mit ihr umgehen wie man will. Sie beschäftigt Menschen, v.a. Christen, oft ein Leben lang. Eine Untersuchung von G.Stachel legt nahe, dass der Bibelunterricht mit etwa 30% des Religionsunterrichts die zweite Stelle einnimmt.
Es ist jedoch zu fragen: Auf welchem Hintergrund und welchen Voraussetzungen ist es sinnvoll, sich mit Bibel auseinander zu setzen? Was sind die Probleme, die sie mit sich bringt? Was kann Bibel leisten? Welche Auslegungsformen sind veraltet oder sogar schädlich?
Die vorliegende Arbeit versucht im Kontext der neueren Entwicklungen der Theologie auf solche und ähnliche Fragen eine Antwort zu formulieren und auf Grenzen aufmerksam zu machen. In erster Linie sind innerreligiöse und didaktische Gesichtspunkte berücksichtigt. Andere, wie zum Beispiel die Curriculumdiskussion, die Bildungsrevision usw. spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Erschwerend für die Arbeit wirkte sich der Umstand aus, dass in der Bibeldidaktik keine unmittelbar verwertbaren Ergebnisse vorlagen. Zu vieles war erst im Umbruch. Es fehlte ein festes Konzept; und vieles stand unvermittelt nebeneinander. So versteht sich der am Ende vorgeschlagene Unterrichtsplan nur als Versuch, die theoretischen Erkenntnisse umzusetzen auf eine bestimmte Klasse, eine bestimmte Kategorie von biblischer Erzählung ( einer Wundergeschichte) und nicht als allgemein gültige Lösung.
GLIEDERUNG
0.1. Begriffserklärungen
0.2. Hermeneutik
0.3. Eingrenzungen
1. Probleme des Umgangs mit der Bibel in der Schule
1.1. Schwierigkeiten auf Seiten der Adressaten
1.1.1. Wirklichkeit und Welterfahrung – heute und damals
1.1.2. Wenig Zugang zu Glaubensfragen im Allgemeinen
1.1.3. Bibelmüdigkeit
1.1.4. Expertentum
1.1.5. „Theologisierendes“ Vorverständnis“
1.2. Einseitigkeiten bisheriger Auslegungen
1.2.1. Moralische Nutzanwendung der Bibel am Beispiel des Dekalogs
1.2.2. Dogmatische Nutzanwendung/ Katechizismus
1.2.3. Die Skopusmethode
1.2.4. Positivismus
1.2.5. Unterordnung unter allgemein religionspädagogische
Zielvorstellungen
1.2.6. Verkürzung im problemorientierten Unterricht
1.2.7. Pseudo-Objektivierungen
1.3. Zusammenfassung und neue Aufgabenstellung der Bibeldidaktik
2. Neue Wege
2.1. Exkurs: „Aktualisierung“ – ein hermeneutischer Problemfall
2.2. Zum Umgang mit Texten
2.2.1. Der Umgang mit Texten allgemein
2.2.2. Besonderheiten mit biblischen Texten
2.3. Legitimationen von Bibelunterricht
2.4. Welche Ziele?
2.4.1. Lernzielkataloge
2.4.2. Begründungen möglicher Lernziele
2.5. Voraussetzungen für die konkrete Arbeit
2.5.1. Bereitschaft zur Lebensauslegung aus den Glaubenszeugnissen
2.5.2. Vertrautheit mit der literarischen Formensprache
2.5.3. Beitrag historisch-kritischer Methoden
2.6. Inhalte und Ziele spezifischer Typen von Bibelunterricht
2.6.1. Bibelunterricht in Verbindung zur eigenen und individuellen
Lebensgeschichte
2.6.2. Bibelunterricht als Beitrag zu einer christlichen
Sprachlehre
2.6.3. Bibelunterricht, der die kollektiven Tiefenschichten
menschlicher Existenz erschließt
2.6.4. Bibelunterricht als Herausforderung zu kritischem
Bewusstsein und sozialem Handeln
2.6.5, Bibelunterricht zur Aufdeckung der Wirklichkeit auf Gott hin
2.6.6. Bibelunterricht als Aufweis eines Zusammenhangs zwischen
Bibel und kulturellen Phänomenen
2.6.7. Gemeinsamkeiten
2.7. Frage nach den angemessenen Methoden
2.7.1. Allgemeine Bemerkungen
2.7.2. Vergleich zweier Modellvorschläge und eigener Versuch
2.7.2.1. Nach Dormeyer 2.7.2.2. Nach Wellens 2.7.2.3. Eigener Versuch
2.7.3. Resümme
3. Thesenartige Zusammenfassung der Arbeit
0.1. Begriffserklärungen
Bibelunterricht meint im Folgenden immer eine Art des Unterrichtens, bei der mit biblischen Perikopen ausschließlich und direkt gearbeitet wird. Bibel kommt darin als solche zum Vorschein; der Text wird unmittelbar vorgelegt oder vorgetragen. Es sind Themen tragend, deren theologische Basis die biblische Einleitungswissenschaft ist und im weiten Sinn der Exegese zugeordnet werden können. Bibelunterricht hat drei Komponenten: den Bibeltext und seine Auslegungsmöglichkeiten, den Frage- und Verstehenshorizont von Schülern und Lehrern, und die die speziellen Gesetze des Unterrichts.
0.2. Hermeneutik
Als Methode ist Hermeneutik die „nachdenkende Erinnerung des geschichtlichen Wegs der Wahrheit zu uns und mit uns und vorausdenkende Erkundung des Weges, auf dem die Wahrheit uns weiterleitet“
0.3. Eingrenzungen
Außer den in der Einleitung genannten Begrenzungen des Themas seien noch andere aufgezählt
– Es ist nicht intendiert, eine Geschichte der Bibeldidaktik zu wiederholen, sondern nur Faktoren zu behandeln, die sich auf die gegenwärtige Praxis auswirken.
– Die Problematik: themenbezogener oder traditionsorientierter Religionsunterricht? Wird hier nicht explizit aufgegriffen
– Sämtliche Ausführungen beziehen sich auf die Gruppe der Schüler, die das Alter der Sekundarstufe II erreicht haben (16 -18 Jahre). Das heißt, es ist ein gewisses Maß an Kritikfähigkeit und Bewusstsein vorausgesetzt.
– Es wird kein neues Konzept geboten, sondern es sollen Bedingungen bedacht werden, auf Grund der bereits vorgelegte Konzepte durchgesehen und neue Vorschläge sinnvoll eingebracht werden könnten.
1. Probleme des Umgangs mit der Bibel in der Schule
1.1. Schwierigkeiten auf Seiten der Adressaten
Ausgangspunkt für eine Zusammenstellung wie die folgende sind rein praktische Beobachtungen, wofür es keine wissenschaftlich-ampirischen Belege gibt; dazu fehlen eindeutige statistische Aufzeichnungen. Diese Beobachtungen sind jedoch leicht nachzuvollziehen.
1.1.1. Wirklichkeit und Welterfahrung – damals und heute
Einer der größten Hemmschuhe für Bibellektüre ist die kulturelle Differenz zwischen der der biblischen Welt und der heutigen. Größte Unterschiede:
– Damals patriarchale Großfamilien, heute Leben in Kleinfamilien und
Sterben nach Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen.
– Damals Agrargesellschaft mit nicht-kapitalistischer
Produktionsweise, heute institutionalisiertes soziales Netz,
Industriegesellschaft und spätkapitalistische Produktionsweise, in
welcher Erfolgszwang, Leistungsdruck, Wettbewerb, ständiges
Wachstum tritt und Fortschritt eine zentrale Rolle spielen.
– Damals alttestamentliche und hellenistische Sprachwelt, heute
deutsche und englische Gegenwartssprache
– Damals dreistöckiges Weltbild mit Unterwelt, Erde und Oberwelt,
heute aufgeklärt-wissenschaftlich geprägte Weltsicht.
– Damals oligokratische, z.T. klerikale Herrschaftsstrukturen, heute
vielfach demokratisch definierte Gesellschaften.
Daraus ist ohne weiteres einsehbar, das wir heute eine andere Problemstruktur vorfinden, sodass das Reden von Gott, wenn es heute in Strukturen von damals geschieht, bisweilen nicht nur auf Unverständnis stößt, sondern sogar Widerwillen erzeugen kann. Wir sehen, dass heute die Gottesfragen anders lauten als früher, z.B. als Frage nach einem letzten, individuellen und sozialen Ziel und Sinn. Ganz allgemein gebrauchen wir heute andere Redeweisen, Erzählstile, Umgangsformen und Techniken der Nachrichten- übermittlung. Wir haben auch ein total anderes Verhältnis zu Zeit als solcher („Freizeit“, „Beruf“) usw.
1.1.2. Wenig Zugang zu Glaubensfragen im Allgemeinen
Vorbelastet durch eine fehlende religiöse Sozialisation im Vorschulalter, durch religiösen Erfahrungsmangel und Sprachlosigkeit der Elterngeneration in Familie und Schule gerät Bibel schnell ins Abseits. Eine feststellbare Tabuisierung religiöser Themen, allgemeine Vorurteile oder tatsächlich gemachte schlechte Erfahrungen (vgl. Tilmann Moser, Gottesvergiftung, 1978) verstärken diese Tendenz. Damit wird auch Bibel als ein Religion konstituierender Text abgelehnt.
Unvoreingenommene Zustimmung zur Bibellektüre, ganz zu schweigen von Begeisterung, ist kaum mehr zu erwarten, da sie immer im Kontext der (nicht oder schlecht) gemachten religiösen Vorerfahrungen gesehen und bewertet wird. Was im gesamtgesellschaftlichen Leben als fortschreitender Säkularisierungs-Prozess mit all seinen Begleiterscheinungen (Rückgang der Kirchenbesucher, Kirchenaustritte, rückläufigen Sakramentenampfang etc.) erscheinen mag, geht natürlich nicht spurlos an der Einstellung zur Bibel vorbei.
1.1.3. Bibelmüdigkeit
Wer sein ganzes Leben mit gleichen oder ähnlichen Inhalten konfrontiert wird, wird vermutlich immer mehr Abstand zu diesen Inhalten einnehmen, falls sie ihn nicht über alle Maßen fesseln.So kann es passieren, dass Schüler mit den in Kindergarten, Grundschule, Gottesdiensten, Jugendgruppen, Kommunion- und Firmvorbereitung immer wieder aufgegriffenen Periskopen überfüttert sind. Es entsteht Langeweile. Wichtig zu sehen ist, dass es hier nicht das Alter der Texte an sich ist, was Langeweile erzeugt, sondern die jeweils gleichbleibende
Weise der Darbietung. Wird die selbe Nachricht immer mit der selben Art und Weise übermittelt, entsteht eine sogenannte „Nullinformation“. Man könnte auch von einer 100%igen Redundanz sprechen, was gewöhnlich – selbst von prinzipiell Interessierten – mit Desinteresse quittiert wird. DAs führt in der Schule zu Störverhalten oder Schlafen.
Entscheidend dabei ist allerdings, dass der gleiche Effekt im Lauf der Zeit bei verschiedenen Inhalten, aber stets gleichbleibender Weise der Darbietung (z.B. Predigt) ebenfalls erzeugt werden kann. Man könnte dann von einer schlechten Konditionierung sprechen, welche dann durch die unter 1.2. genannten Punkte verstärkt wird. Die Spannung, welche ansonsten das Kennenlernen von unbekannten Welten, Personen, Konflikten und Eigenarten auslöst, kann kaum mehr aufkommen.
1.1.4. Expertentum
Vielfach erfahren Schüler, dass biblische Texte besser den Fachleuten überlassen bleiben sollen, damit diese die „richtige“ Interpretation vornehmen. Das kann u.U. an der Sprache und Wortwahl liegen, in welcher Bibel ausgelegt wird. Dabei ergeben sich schon jedem, der sich mit Bibel auf wissenschaftlicher Ebene befasst, trotz gleicher Methoden, keine einheitlichen Ergebnisse, z. B. der historisch-kritischen Exegese. Weil aber ein Konsens nicht eruierter ist, steigt die Undurchschaubarkeit und Unsicherheit, zumindest unter „Laien“ an. Schädlich scheinen deshalb die Methoden der wissenschaftlichen und biblischen Verschulung. Nichts gegen Experten. Nur: wenn Bibel zum „Stoff“ wird, der „durchgenommen“ werden kann, den man beherrschen und abfragen kann, dann entsteht das Problem, dass man dem Anspruch eines Glaubens- und Lebensbuches nicht gerecht wird. Und da erwartet sich niemand mehr neue Zugänge und Entdeckungen. Expertentum von Priestern und theologisch gebildeten Laien, die aufgrund ihrer Studien die Bibel zwar für sich existentiell ausgelegt haben, aber nicht eine andere Auslegung offen lassen, bewirken, dass sich Hörer in einer passiven Lage wiederfinden. Anstatt aktiver Erschließung fühlen sie sich passiv bedrängt und glauben, es wäre zwingend Fachkompetenz vonnöten. Zudem bildet sich zwischen fachlichem Ausleger und unbedarftem Zuhörer ein autoritatives Abhängigkeitsverhältnis. Andererseits kann vielfach nur der geschichtlich und historisch interessierte Interpret zu eigener Betroffenheit vorstoßen und Aufschlüsse und Erkenntnisse gewinnen, weil der Einstieg zu den Lebensfragen eben über ein geschichtliches Dokument geschieht. Methoden, welche bestimmte programmierbare Ergebnisse anvisieren, verhindern echtes Verstehen. In 30% allen untersuchten Bibelunterrichts konnte dies nachgewiesen werden. Durch enge Fragen, Vermittlung von einzelner Bestandteile und oberflächlich-historisierende Weisen verlegt sich die Aufmerksamkeit auf einzelne Verse, ohne die Erzählung an sich erfasst zu haben. Gott is nur als innengeschichtliche Größe eingebracht. Faktenwissen und Begriffskenntnisse sind nur mangelhaft in einen anthropologischen Zusammenhang eingebettet. Man kann dieser Unterrichtsform vorwerfen, dass sie die biblische Überlieferung in Grundlegendem verfehlt, ja sogar einen Rückfall in ein Verfahren darstellt, das die kerygmatische Katechese schon überwinden wollte: Das Hantieren mit einer prälogischen Konzeption von der Wirksamkeit Gottes, besonders von seinem (Mit-)Handeln in der Geschichte.
1.1.5. Theologisierendes Vorverständnis
Biblische Erzählungen sind oft durch falsche „theologische“ Erwartungen verdeckt. Anstatt dem natürlichen Handlungsgang zu folgen, richtet sich das Augenmerk nur darauf, nun endlich wieder das Erhabene, Heilige und vor allem Moralische wieder zu entdecken, oder vom Ausleger vorgekaut zu bekommen. Bibellesen wird hier zur Frömmelei und wird deshalb abgelehnt. Man glaubt also schon im Voraus zu wissen, worum es dem Autor geht, und man möchte dieses bereits Gewusst wieder gewinnen. Die so eng gezogenen Grenzen des Vorverständnisses, unter Anwendung der folgenden Gesichtspunkte, müssten demgegenüber in kontinuierlicher Arbeit aufgeweicht werden, will man zu fruchtbaren Ergebnissen kommen.
1.2. Einseitigkeiten bisheriger Auslegungen
Wie ein Blick in Religionsbücher vergangener Jahre bestätigt, wurden biblische Texte in methodisch und theologisch nicht ganz einwandfreier Weise herangezogen. Etliche Religionslehrer dürften davon beeinflusst worden sein. Diese Einseitigkeiten sind zwar nicht auf Bösartigkeit zurück zu führen, sondern eher auf Mangel an exegetischen Kenntnissen, auf Angst vor „Glaubens-„Verlust von Schülern oder auf unreflektiertem Weitergeben des tradierten Unterrichts.
Mehrere theoretische Gesichtspunkte sollen zur Diskussion gestellt werden.
1.2.1. Moralische Nutzanwendung am Beispiel des Dekalogs
Biblische Texte finden gern Verwendung als Aufforderung und Beispiele für tugendhaftes Verhalten. Sie werden in ein System von moralischen Normen, Geboten und Verboten eingeordnet. Der Grund dafür dürfte darin zu sehen sein, dass sich das Vermittelte für die Praxis und den Alltag auswirken sollte. Schließlich wird ja Christentum am Handelnden manifest und greifbar. Man unterstellt kurzsichtig, dass auch den den Texten die gleiche Ordnung (wieder-) zufinden sei, wie man sie sich schon vorher angeeignet hat. Der Text übernimmt somit die Funktion einer Betätigung dessen, was man ohnehin schon wusste. Im Folgenden stelle ich den einseitigen Gebrauch dar und lasse eine exegetische Studie folgen, welche deutlich werden lässt, welches Grundverständnis – z.B. gegenüber dem Dekalog – angebracht wäre.
1.2.1.1.
Seit Augustinus ist der Dekalog für Christen aus dem alttestamentlichen Zusammenhang heraus gerissen und in eine besonders hervorgehobene Stellungen gehievt worden, fast schon in die Isolation. Er wurde wichtiger Bestandteil für die Unterweisung, v.a. für den Katechismus. Von Augustinus stammt auch die Übersetzung mit den „Zehn Geboten“, beginnend mit dem Gebot der Gottesverehrung. Er war es auch, der die Zahlenmystik mit den drei „heiligen“ und den sieben „profanen“ Geboten erfand. Beides hält einer kritischen Prüfung nicht stand.
Gemäß Schalom Ben Chorin besteht der erste Satz aus einer Selbstdarstellung von Jahwe, welcher Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten befreit hat. Das kann man nur schwerlich als Gebot bezeichnen, ist aber wichtig für die Legitimation der folgenden Anordnungen. Zum anderen bestehen die Zehn Worte aus wesentlich mehr Geboten, wollte man etwas genauer hinschauen.
Im weiteren Verlauf wurde der Dekalog als die Summe des Naturrechts betrachtet, der die sittlichen Grund-Normen schlechthin einschließt, sowie als rein praktisches Einteilung-Prinzip für den sittlichen Lernstoff (siehe dazu Katechesen oder Beichtspiegel aus dem „Gotteslob“). Er galt als Kurzformel des gesamten christlichen Sittengesetzes und gelangte denn im Dienste einer kasuistischen Moraltheologie zum Sktrukturprinzip, dass Vorteile wiederum in der Einfachheit der praktischen Beurteilung sittlichen Handelns lagen.
1.2.1.2. Herkunft des Dekalogs–der exegetische Befund nach dem Alten Testament
Zunächst gilt es festzuhalten, dass der Dekalog nicht eine sittliche Norm, sondern ein Glaubensethos ist, welches zustanden gekommen ist aus alten Rechtssätzen, noch älteren Weisheiten, die man aus der Erfahrung des Gemeinschaftslebens gemacht hatte, und dem Einfluss des Jahweglaubens. Dabei ging es primär nicht um Erfüllung oder Nichterfüllung bestimmter Vorschriften, sondern um die Verwirklichung des Willens Jahwes. Der Mensch muss sich generell für oder gegen ihn entscheiden. Im Einzelnen lassen sich verschiedene Schichten der Entwicklung nachweisen. War die Fassung von Exodus 20, 1-17 noch ein Sippengesetz mit Bezug auf den freien, erwachsenen israelitischen Mitbürger wendet sich die Fassung von Deuteronomium 5, 6-21 an den Mitmenschen, mit dem man es gerade zu tun hatte, auch wenn er nicht zum eigenen Volk gehört, und versteht sich als theologische Bundesurkunde mit Vertrags-Charakter. Sämtliche Gebote sind dabei eine Entfaltung des ersten Wortes, wo sich Jahwe als Gott der Zuwendung, als Befreier- und Erlösergott vorstellt. Er hat zuerst Israel gerettet und sich Israels erbarmt. Es wird also zu aller erst an ein Heilsgeschehen erinnert, woraus hervorgeht, dass es Jahwe gut mit seinem Volk meint. Und dann soll das Volk aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus seine Anweisungen als gut, vernünftig und gemeinschaftsfördernd akzeptieren. Theologisch liegt dabei der Gedanke zu Grunde, dass Israel solange im Heilszustand bleibt und das Land Kanaa als Besitz hat, solange es den Vertrag hält. Alle Gebote wollen weniger dem Einzelnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, sondern mehr zur freien Verwirklichung des Guten in wechselnden Situationen auffordern. Der Dekalog versteht sich somit weniger als Gesetz, sondern mehr als Lebenslehre. Für den Religionsunterricht dürfte man ihn also nicht in das Schema von Befehl und Gehorsam einzwängen, sondern vermitteln: Unser Gott ist einer, der das Leben und die Freiheit des Menschen will; also kann oder muss oder soll derjenige, der auf ihn vertraut, den anderen Menschen ebenfalls das Leben, die Freiheit und das Recht lassen. Mit anderen Worten: Der Dekalog enthält eine Verpflichtung auf das Wohl und Glück des anderen und appelliert an die eigene Verantwortung im Umgang mit diesen anderen. Anstatt einer individuellen und statischen Gebote- und Verdienstmoral vermittelt der Dekalog ein dialogische Ethik und eine dynamische Ethik. Dialogisch ist diese Ethik, weil das Gutsein eine Antwort auf das gottgeschenkte Heil ist, und dynamisch ist sie, weil sie sich öffnet für die Bedürfnisse des anderen in der jeweiligen Situation.
Die eigentliche Bedeutung und Gültigkeit liegt darin, dass das gesamte Leben in all seinen Bezügen aus dem Glauben an den Gott der Befreiung gestaltet werden soll. Die neutestamentliche Entsprechung liegt in der „eschatologischen“ Ethik Jesu.
1.2.1.3. Der Dekalog im Neuen Testament
Jesus kritisert nicht den Inhalt des Dekalogs. Allerdings richtet er sich gegen ein rechtlich-messendes Verständnis des Gotteswillens. Worauf es ihm vielmehr ankommt, ist eine andere Qualität des Daseins, der Lebensführung und eine neue Ausrichtung. Nachweislich (z.B. Matthäus 19, 19-20) stellt sich heraus, dass Jesus recht frei mit den Text umging und sich um bestimmte Reihenfolgen oder Vollständigkeiten nicht kümmerte. Die Erfüllung einzelner oder aller Gebote garantiert ja nicht, dass der eigentliche Anspruch Jesu erkannt wird, nämlich ZUERST das Reich Gottes zu finden, das heißt sich nach spirituellen Gesichtspunkten auszurichten. Jesus hat kein Interesse an der Zitation des gesamten Dekalogs, oder den Dekalog als sittliche Forderung Gottes in den Mittelpunkt zu stellen. Jesus hinterfragt die vorhandenen Gebote immer auf ihren Sinn und ihre ursprüngliche Intention: für den Menschen Gutes und Heilbringendes aufzuzeigen. Die Gebote als Last wären vollkommen missverstanden. Jesus fragt nach dem jeweiligen Auftrag des Menschen, nach dem Plan Gottes mit ihm. Er fordert das totale Engagement des ganzen Menschen. Und das ist eine Sache der Einstellung und nicht des Gehorsams gegen Gesetzen. Und diese Frage nach dem Willen Gottes muss in jeder Situation neu gestellt werden und kann nicht ein für alle Mal beantwortet werden. Deshalb gibt es im Evangelium keine Normen des Verhaltens im Sinn eines neuen Gesetzes. Markus zeigt, dass das Evangelium die Widerstände gegen die Erfüllung des Willens Jahwes aufdeckt, und er kannte auch Verhaltensweisen, in denen sich die Widerstand manifestiert. Markus interessiert sich also nicht für die Befolgung einzelner Gebote, sondern für die Umkehr des Denkens als Frucht der Lehre Jesu. Jesus nachfolgen … und (rein äußerlich) die Gebote halten sind zwei grundverschiedene Tätigkeiten (nach Paulus). Aus der Nachfolge Jesu ergeben sich bestimmte Denk- und Verhaltens weisen, die als Frucht des Hörens, nicht als Resultat eigener Leistung gelten.
Der Dekalog ist sicher nicht das Zentrum neutestamentlicher Sittlichkeit. Seine Geltung wird nicht geleugnet, aber Wille und Anspruch Gottes sind damit nicht identisch, sondern gehen weit darüber hinaus, wie die Bergpredigt nahe legt. Das Ziel menschlichen Seins ist nicht die reine Sittlichkeit, sondern das Verwurzeln im Göttlichen.
1.2.2. Dogmatische Nutzanwendung
Über einen langen Zeitraum war es üblich, Bibelzitate zur Begründung von dogmatischen Lehrsätzen heranzuziehen. Diese finden sich dann z.B im Katechismus wieder. Der Eigenwert biblischer Texte musste zu Gunsten eine Christologie, Soteriologie, Mariologie oder Trinitätslehre außer Acht gelassen werden. Katechese lässt die Texte in einem starren System von Lehrmeinungen und Lehrsätzen zu steinernen und stummen Gebilden werden, zu Relikten einer ergangenen Epoche. Das sechste und neunte Gebot veranlasst den Katechismus zu allgemeinen Bemerkungen zu „Schamhaftigkeit und Keuschheit“. Der Curriculare Lehrplan für Berufsschulen leitet aus Markus 10, 11 und Matthäus 19,19 Grundgesetze zu „Ehe und Familie“ ab. Das Bibelzitat muss zur Untermauerung bereits vorgefertigter Systeme dienen. Textstellen sind zu diesem Zweck aus dem Zusammenhang heraus gerissen und in ein anderes Gebäude von (Lehr-) Meinungen gezwängt, die mit der Entstehung dieser Perikopen nichts mehr viel zu tun haben. Denn z.B. das fünfte Gebot wurde bestimmt nicht geschrieben um die Meinung zu rechtfertigen, „unsere geistigen Anlagen und Fähigkeiten, vor allem der Verstand, der Wille und Gedächtnis und das Gemüt stehe höher als die Kräfte des Leibes“ (Kath. Katechismus 1955, S.230). Auch zur Lösung der Frage nach Euthanasie taugt es wenig.
1.2.3. Die Skopusmethode
Während sich alle bisher genannten (Un-)Arten von Auslegungen inhaltlich bestimmen lassen, handelt es sich in diesem Punkt um eine bestimmte Methode, mit der aus einem Text katechsimusartige Merksätze heraus gearbeitet werden, sogenannte „Skopi“. Zuerst gibt man da oft eine innerweltliche Erklärung des Geschehens, und dann klebt man die Frage nach Gottes Wirken in der Geschichte auf, wobei sein Wirken zufällig mit den moralischen und dogmatischen Inhalten übereinstimmt. Vor allem zu Zeiten der kerygmatischen Phase der Bibelkatechese wollte man die Verkündigungsabsichten möglichst genau fest halten. Dabei gingen allerdings wesentliche Dimensionen dieser Textpassagen verloren: die Eigendynamik, die bildhaften Redeweisen, die Erlebnis- und Gefühlsebenen, das persönliche Angesprochensein und Sich-ansprechen-lassen, die Offenheit für eine spätere Ergänzung oder Korrektur usw. Die gesamte Bibel würde zu einem abstrakten, blassen und formelhaften Lehrgebäude zusammenschrumpfen, wollte man dermaßen vorgehen. Schon Ballermann (1966) und Stachel (1966) übten daran heftige Kritik.
Zwei Beispiele aus dem CuLP: Apostelgeschichte 8, 4-25, soll eine Stellungnahme zu Aberglauben, Streben nach Sicherung und falschen Gottesbildern liefern. Matthäus 23, 8ff und 1 Kor 12, 12-31, sollen Prinzipien der Amtsführung, Gehorsam gegenüber über Autoritäten, Lehr- und andere Ämter und Hierarchien rechtfertigen. Frei formuliert würde dann die Bibelstelle folgendermaßen aufbereitet werden: `Wer die Frohe Botschaft kennen lernt, muss sich von seinen Göttern und Götzen, seinen Irrtümern und Sünden abwenden und sich von ganzem Herzen hinwenden zu Gott, unterem himmlischen Vater, und zu Christus, unserem Erlöser und Heiland, der keinen Aberglauben duldet und die Zauberei ablehnt. Er muss sich zu Gott bekennen, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, unserem Retter vor dem kommenden Zorngericht´.
Eine solche Herangehensweise fördert die Entfremdung von Bibelstellen. Es wäre besser, den Lerninhalt von den Bibelstellen zu trennen. Konkret: Entweder man hält themenbezogenen Unterricht, z.B. zu Aberglauben oder Autorität, oder man betreibt ausschließlich Bibelunterricht mit ausgewählten Stellen, die man einem Thema zuordnen kann.
1.2.4. Positivismus
Nicht selten begegnet man der Ansicht, biblische Texte seien wortwörtlich so zu verstehen, wie sie aufgeschrieben sind. So entsteht der irre führende Eindruck, die Schrift wolle historische Ereignisse der Vergangenheit schildern oder philosophische, kosmologische oder anthropologische Aussagen machen. Dies hat mehrere Folgen:
a, Verschieden überlieferte Begebenheiten werden oberflächlich harmonisiert und zu einer durchlaufenden Geschichtsschreibung hingebogen.
b, Vertieft werden solche Versuche durch psychologisierende Eingriffe in den Text. Einzelheiten werden durch ausmalende, breite Erzählungen bekräftigt, ohne dass der Text selbst Anhaltspunkte dazu gegeben hätte. Sogenannte „Leerstellen“ werden dann bedenkenlos auf- und ausgefüllt, ohne sich zu überlegen, warum den Tridenten diese oder jene Einzelheit nicht interessiert hatte.
c, Aus diesem Grund legt sich der Verdacht nahe, dass hier vom Wesentlichen abgelehnt wird. Etliche Kinderbücher liefern zwar einen leicht verständlichen Text, der auf Kinder vielleicht Faszination ausüben mag, bereitet aber den Jugendlichen enorme Schwierigkeiten. Er wird diese Inhalte dann als absurd betrachten und als Kinder-„Märchen“ abtun, belächeln und vergessen.
Im Unterricht findet man diesen Typ, den man als oberflächlich, historisierend und psychologisierend beschreiben kann. Die Schüler werden bei einer Wundererzählung dazu angehalten, diese als historischen Vorgang zu verinnerlichen, so, als ob sie mit der Alltäglichkeit von heute vergleichbar wären. Es wird daran kritisiert, dass da kein Fortschritt erzielt wird und kein Lernen stattfindet.
Den Ortsangaben im Alten Testament wohnt vor der historischen eine theologische Bedeutung inne. Wenn man diese auf’s Historische reduziert, dann missachtet man die Eigendynamik und Eigengewichtigkeit des Alten Testamentes.
1.2.5. Unterordnung unter religionspädagogische Zielvorstellungen
Eng verwandt mit einer moralischen Nutzanwendung sind auch Auslegungen, mit Hilfe derer man Menschen in die vorhandene Sozialordnung- nicht nur die herrschende Moral und Dogmatik- ein- und unterordnen wollte. So diente z.B. Lukas 1 und 2 durchwegs zur Einweisung in staatliche, schulische, familiäre und religiöse Institutionen, wobei das Element des Sich-Fügens und der Unterwürfigkeit durch gewaltsames Unterdrücken von Spannungen und Konflikten gefördert wurde. Um diese Harmonie nicht zu gefährden erlaubte man keine Befragung der Normen.
Wie selbstverständlich wurden zu diesem Zweck unpassende Textpassagen vereinfacht, Anstößiges weggelassen und Bedeutsames hervor gehoben, um dafür fremde Gedanken, Gefühle und Überlegungen einzubringen. Jesus oder Maria galten da als ganz besondere Vorbilder in ihrem Gehorsam, Keuschheit und Frömmigkeit. Die Personen rücken damit in die Ferne und lassen kein Gefühl der Solidarität mehr entstehen. Der Heilige verschwindet hinter seiner Fassade seiner „Heiligkeit“. Vom Heiligen als aufgeschlossenem Sünder ist nicht mehr viel zu spüren. Anstelle davon sollte es darum gehen, den jeweiligen Menschen mit seinen Stärken und Schwächen in den Zeugnissen seiner selbst und seiner Umwelt aufzuspüren.
1.2.6. Verkürzungen im problem-orientierten Unterricht
Im Kontext dieses Unterrichtstypes kann mitunter, sozusagen durch’s Hintertürchen, Bibel wieder eingeschmuggelt werden. Zunächst greift man da gerade aktuelle Themen oder Erfahrungen von Schülern auf. Dabei sollen sie Schüler lernen, ihre Erfahrungen zu klären, den Horizont zu erweitern und das Erfahrene und Gewünschte zu verbalisieren und zu problematisieren. Als Ergebnis kann das bisher Besprochene zu einer Kernfrage zugespitzt werden. Man unternimmt Lösungsversuche, auf die man durch gesunden Menschenverstand, durch gezieltes Nachdenken oder mit Hilfe humanwissenschaftlichen Methoden stößt. Am Schluss jedoch folgt noch eine biblische Reminiszenz in Gestalt einer Textstelle, die eine genaue Antwort auf die gestellte Frage geben soll, so eine Art zuverlässiger Orientierung.
Die Strukturen von damals und heute sind jedoch oft grundverschieden und viele Situationen sind ohne Analogie. Zudem missversteht man die Schrift, wolle man sie als fertiges Antwortsystem lesen, aus dem das jeweils Passende nur abzurufen wäre.“Die christlich-gläubige Weltanschauung kann nicht in einer Summe von Schriftzitaten bestehen, weil die im Glauben angeschaute Welt heute eine andere ist als damals“ (Zit. Bartholomäus, 1972, S.72).
Es werden also Ausschnitte der Wirklichkeit beleuchtet um sie dann mit Bibelzitaten zu garnieren. Die Bibel erschließt dagegen Lebenszusammenhänge und macht die Gotteserfahrung als Frage, als Leiden, als Befreiung oder Hoffnung deutlich. Grundsätzlich ist es problematisch, die Bibel, welche in einem gläubigen Selbst- und Weltverständnis entstanden ist, in eine areligiöse und gleichgültige Welt zu verpflanzen.
Indem man die Bibel auf unsere modernen Fragen antworten lässt, bedenkt man gar nicht, dass auch die Bibel Geschenke und Fragen an uns hat, ja, sie uns selbst mit unseren Wünschen, Vorstellungen, Absicherungen, unserem gesamten Denken und Handeln radikal in Frage stellt.
Wenn der Eindruck geweckt wird, dass in der Bibel steht, was man seit je her schon als gut und vernünftig erkannt hat, wird Bibel zu einem auswechselbaren Lösungspotential unter anderen. Auf Dauer wird das Reden von Jesus, Gott und dem Heiligen Geist überflüssig oder Alibi.
Des weiteren impliziert dieses Vorgehen eine Trennung von Leben und Glauben. Glaube steht da über dem Leben und es dürfen Zweifel angemeldet werden, ob es gelingt, den Glauben auf diese Weise reizvoller und attraktiver zu machen.
Zum Beispiel wird gern Genesis 2, 18 -23, als Antwort auf die Frage nach der Gleichstellung und Emanzipation zitiert, oder die Frage, was nun angeboren und was anerzogen ist. Mein Einwand ist, dass hier der alte Text mehr Verwirrung stiftet als Klärung. Und bezeichnenderweise sind schon die Verse 2, 24-25, ausgelassen, die ebenfalls zur Stelle gehören und für ein richtiges Verständnis unabdingbar sind; oder gilt die Bibel hier als zu herausfordernd und unmoralisch??
In ähnliche Schwierigkeiten gerät, wer die moderne Thematik eines Tötens auf Verlangen, z.B. wegen einer unheilbaren Krankheit, problemorientiert aufgreift und auf eine Interpretation des 5. Gebotes zurückgreift. Nicht wenige Themenkreise stellen sich erst in unserer Zeit, und dazu können andere Disziplinen, z.B. die Sozialwissenschaften oder die Medizin mehr beitragen als die Bibel.
1.2.7. Pseudo-Objektivierungen
Das Bild der verzweckten Bibelauslegungen rundet sich ab mit der Behandlung der Bibel als genaues Geschichtsbuch, z.B. die verbreitete Meinung, die Welt sei genau in sechs Tagen entstanden oder die Auffassung, die Frau sei aus der Rippe des Mannes hervor gegangen.
Drei Bedenken gegenüber optischen Fixierungen
a, Bei einem Festhalten in Bild oder Film könne beim Zuschauer Einzelheiten haften bleiben, welche nicht notwendig oder sogar frei erfunden sind. Für eine stimmige Darstellung müssen diese aber konstruiert werden. Es kann passieren, dass sie die geschilderten Inhalte verfälschen, Stellen aus dem Kontext reißen und für das Verstehen wichtige Passagen auslassen.
b, Fixierungen verhindern einen Transfer in momentan relevante Sinnzusammenhänge. Während beim Lesen oder Hören noch die assoziierende Tätigkeit des Verstandes aktiviert wird und dadurch ein Bezug zur Lebenswirklichkeit des Rezipienten hergestellt werden kann, übernimmt der Film diese Arbeit. In der Folge können die Inhalte im Bewusstsein zu mehr oder weniger bedeutungslosen Histörchen absinken; im besten Fall wirken sie momentan ergreifend oder berührend, jedoch findet keine eigene Auseinandersetzung mit den Inhalten statt. Es fehlt die Kategorie: Erfahrung-machen-mit-den-Informationen.
c, Viele Schilderungen in der Bibel haben symbolischen Charakter. Nun sind Darstellungen zwangsläufig konkret, und damit wird man dem Bild oder der Handlung als symbolischem nicht gerecht. Deutlich wird dies etwa in der Darstellung eines Gott-Vaters als Opa mit weißem Gewand und erhobenem Zeigefinger. Man darf sich nicht wundern, wenn der reifere Mensch solche Bilder später ablegt.
Beim Film bleibt durch die fortlaufende Handlung nicht die Zeit, über bestimmte Situationen meditierend nachzudenken. Man bleibt damit immer an der Oberfläche. Wer z.B. einmal einen Jesus über das Wasser hat laufen sehen, der wird schwerlich auf die Idee kommen, hier eine Textstelle vor sich zu haben, die in Zeiten der Angst, Unsicherheit, Ausweglosigkeit und äußerster persönlicher Gefahr etwas Trost, Kraft und Mut, Zuversicht und Hoffnung ausstrahlt. Und er wird in dem vom Wind gebeutelten Schiff weder eine verängstigte Gemeinde noch einen von Bürgerkrieg, Staatsstreichen und Unterdrückung angeschlagenen Staat sehen, noch eine durch Krieg oder Rezession oder Katastrophen erschütterte Welt, in der wir alle wie „im gleichen Boot“ sitzen.
Indem Bibel überhaupt filmisch bearbeitet wird und damit einer größeren Zahl von Menschen in das Bewusstsein tritt kann man dieses Medium rechtfertigen. Skepsis sei jedoch angemeldet, wo die Intention der Bibel missachtet wird und an den exegetischen Ergebnissen vorbei gefilmt wird, etwa in der Darstellung des Passah-Mahl Jesu als eine Art von Garten-Party in „Jesus Christ Superstar“.
1.3. Zusammenfassung und neue Aufgabenstellung der Bibeldidaktik
Allen bisher besprochenen Methoden der Auslegung von biblischen Texten ist gemeinsam, dass sie mehr oder weniger offen fixieren oder funktionalisieren. Bibel wird da in verschiedene Prokrustes-Betten gezwängt. Dabei muss man sie einmal strecken, das andere Mal kürzen oder gar köpfen, jedenfalls verstümmeln. Ein dermaßen zum Untergang geweihter Text rührt sich nicht und kann keine Revolution verursachen. Der Interpret, welcher sich über seinen Hintergrund keine Gedanken macht, wird in die „Falle“ der Funktionalisierungen laufen. Das Ziel, den Schülern Bibel nahe zu bringen wird dann aber verfehlt, weil sie Bibel nicht mehr unvoreingenommen wahrnehmen.
Jeder Einsatz biblischer Texte sollte besser als bisher begründet und mit genauen Zielangaben vorbereitet werden, will man nicht in alte Fehler verfallen. Es ist zu bedenken, unter welchen Voraussetzungen und Vorzeichen man Bibel in den Unterricht einbringen will. Denn je klarer die Hermeneutik des Auslegers offen liegt, umso weniger ungewollte und unterschwellige, unabsichtliche Deutungen können ihm dann unterlaufen.
Es wäre auch nichts gewonnen, Bibel nur zu bearbeiten, um einer Pflicht genüge zu tun oder weil sie ein „heiliges“ Buch ist.
Da die Eignung von Unterrichts-Inhalten auch danach zu beurteilen ist, was sie zur (religiösen) Sozialisation, zur Aufarbeitung von lebensgeschichtlichen Erfahrungen, zur Bearbeitung und Transzendierung von Alltagswelt beitragen können, müssen emotionales Erleben, gesellschaftliche Realität sowie künftige zu bewältigende Konflikte angegangen werden. Die Bibeldidaktik hat also im Rahmen der Identitätsfindung von den eigenen Möglichkeiten der Bibel her Beiträge zu leisten.
Rein praktisch kann es zunächst immer nur darum gehen, die eingefahrenen negativen Kreisläufe behutsam aufzubrechen um den Menschen dann zu einer immer eigenständigeren Auseinandersetzung mit Bibel zu bewegen. Damit wird sie zum einem interessanten, Erfahrung vermittelndem und deutenden Buch.
2. Neue Wege
2.1. Exkurs: „Aktualisierung“- ein hermeneutischer Problemfall
„Aktualisierende Interpretation“ wird gern als Mittel zur Betroffenheit, Offenheit, Motivation und Entscheidung genannt. Aktualisierung ist dabei nicht nur Methode, sondern der Ort, wo die Sprache des Textes den Rezipienten einholen und dahin führen will, wo die Welt sich verändert.
Es bleibt allerdings die Frage offen, ob dieser Anspruch mit reiner Aktualisierung erreicht werden kann, und ob dieser Anspruch dem gerecht wird, was in der Schule von heute überhaupt machbar ist. Und letztlich gehen ja ebenfalls die Typen und Methoden von Auslegungen, welche ich oben aufgelistet hatte, im weiten Sinn aktualisierend vor. Die zentralen Probleme, wie sie schon in 1.1. geschildert wurden, können durch die Forderung nach Aktualisierung nicht bewältigt werden. Um die Schwierigkeiten der Wahl dieses Begriffs anzureißen, seien ein paar Blicke in die Publizistik geworfen.
Nach Bartholomäus (1972, S. 125 -128) unterscheidet die Publizistik-Wissenschaft zwischen primärer und sekundärer Aktualität. Primäre Aktualität wird den Ereignissen beschieden, die aus dem jüngsten Gegenwartsgeschehen auftauchen und auf ein lebhaftes Interesse der Zeitgenossen stoßen. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Gesichtspunkt. Dadurch, dass die Menschen des Technologie- und Industriezeitalters ständig in Atem gehalten werden von dem ganz Neuen und Noch-nie-da-Gewesenen, und dadurch, dass die Zukunft in sehr starkem Maße als machbare Geschichte antizipiert und geplant werden kann, gewinnt das Mögliche eine zentrale Bedeutung. Zitat: „Ist das Mögliche dann Wirklichkeit geworden, … durch die gestaltende und verwandelnde Kraft des Menschen, dann ist das gestern noch Morgige und morgen schon Gestrige heute das Neue, in dem die Menschen ihr Werk und sich selbst erkennen.. Jene Neuigkeitsbesessenheit ist also keinesfalls nur Zeichen der Neugierde, sondern Ausdruck der übernommenen Weltverantwortung “
Sekundäre Aktualität gesteht man einem Ereignis zu, das sich zwar in irgendeiner Vergangenheit zugetragen hat, das aber die Gegenwart immer noch betroffen macht. Es ist also Wirklichkeit nicht ganz vergangen, es besitzt eine unvollständige Vergangenheit, es hat eine gegenwartsbezogene Dynamik.
Kann man eigentlich von einer objektiven Aktualität reden? Von sich aus erhält ein Bericht oder eine Neuigkeit oder ein bestimmtes Ereignis noch keine objektive Aktualität, unabhängig wie alt es sein mag. An der kontroversen Einstellung zur Bibel ist das ja ablesbar. Ihr ist mit Sicherheit keine primäre Aktualität eigen, und ihre sekundäre Aktualität ist objektiv nur schwer zu bestimmen, denn die Bibel als Glaubenszeugnis legt das Haupt- Gewicht nicht auf geschichtliche Tatsachen, sondern eben auf den Glauben. Insofern hat sie eine anhaltende Wirkung auf Menschen und ist dazu im Stande, aktuelle Geschichte zu machen.
Spätestens hier wird deutlich, dass man immer mit einem subjektiven Faktor in und für die Aktualität rechnen muss. „Die Aktualität einer Aussage …. wird folglich konstituiert durch das subjektive Interesse des Adressaten, das hervorgerufen wird durch den jeweiligen individuellen Standort des Rezipienten und der daraus resultierenden Betoffenheit sowie durch die objektive Qualität die man als Neuheit, Unbekanntheit der Nachricht charakterisieren kann…“ (Bartholomäus, 1972, S. 127).
Die -sekundäre – Aktualität der in der Bibel geschilderten Ereignisse und deren Wirkungen ergibt sich aus zwei Faktoren: a, zunächst aus der Subjektivität eines jüdischen oder christlichen Glaubens, welche in den Geschehnissen „mehr“ sieht als die anderen Zeitgenossen. b, Sodann „sehen“ auf Grund dieses Glaubens Christen oder Juden objektive Momente, die die Aktualität erst konstituieren. Z.B. lesen sie daraus das völlig analoglose, ganz andere, nicht berechenbar nicht zu erwartende barmherzige Handeln Gottes in dieser Zeit, wie auch schon in den vergangenen Epochen. Der einmal ins Rollen gekommene Stein rollt selbständig weiter. Juden und Christen sind überzeugt von der unvollständigen Vergangenheit dieser Geschichte.
In diesem Kontext erweist sich die Rede von der primären Aktualität als unzutreffend, es sei denn, man meint damit ein Modernisieren. Damit könnte man dem biblischen Anspruch einer Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes am ehesten nachkommen. Über Aktualität entscheidet das jeweils rezipierende Bewusstsein, womit sich die Aktualität von einer zeitlichen in eine inhaltliche Größe verwandelt hat.
Die Rede von der sekundären Aktualität erweist sich als problematisch. denn zum einen hat Bibel für Gläubige eo ipso Aktualität, braucht also nicht erst aktuell gemacht werden, sondern muss „nur“ transformiert werden. Und Ungläubigen fehlt der nötige Hintergrund, so dass sich ein Aktuell-machen als nutzlos zeigt. Folglich könnte man allenfalls den Horizont erweitern oder ein offeneres Bewusstsein schaffen, und dann auch nur bestimmte Arten von Auslegungen anwenden (vgl. 2.6.).
2.2. Der Umgang mit Texten
Aus einem Grundverständnis der Textbegegnung sollen erste Hinweise resultieren, wie man Einseitigkeiten in den Interpretationen entgegen wirken kann. Unberücksichtigt mussten allerdings verschiedene neuere Ansätze der Literaturwissenschaft bleiben, wie z.B. die materialistische Literaturtheorie, die Kritische Ästhetik oder die Kommunikationstheorie. Alle diese wurden bislang nicht der Exegese fruchtbar gemacht.
2.2.1. Der Umgang mit Texten im Allgemeinen
Jeder Text kann zunächst als Kunstwerk aufgefasst werden, welches es darauf angelegt hat, mit ihm in Beziehung zu treten und es zu verstehen. Speziell Literatur, definiert als sprachliches Medium, ermöglicht auf bestimmte Art und Weise Kommunikation und strebt die Ausbildung eines kritischen Bewusstseins an, das die Verbindung zwischen dem Leser und und der Welt durch die Vermittlung sprachlicher Zeichen gestaltet. Für alle folgenden Überlegungen bildet die These den Hintergrund, dass ein Werk dazu da ist, gelesen zu werden, also seine Rezeption voraussetzt.
Das adäquate Verstehen hängt nun von der Struktur der literarischen Beziehung ab, also auch vom Modus der Rezeption (z.B. Korrespondenz, Appell, Protest usw.). Diese Modi können im Text schon angelegt sein. Unterschieden von den Modi der Rezeption, deren sehr viele verschiedene denkbar sind, sind theoretisch die Modi des Lesens auf der Basis a, des hermeneutischen Verfahrens, des Strukturrealismus und c, der Rezeptionsäthetik.
Zu a, Hermeneutisches Verfahren
Allgemein kann gemäß der hier zu Grund liegenden Theorie die aktive Teilnahme der Adressaten innerhalb der Rezeption von Texten nur erreicht werden, wenn sich die Schüler überhaupt als Adressaten begreifen, d.h. wenn sie ihre Rolle als unmittelbar angesprochene und reflektiert antwortende Mitspieler im Kommunikationsprozess wahrnehmen. Das hermeneutische Verfahren ist Grundlage der Differenzierung der Primäraussagen und dient der Selbstaufklärung des Verstehens. Gemäß einem Dreisatz von Nach-Fühlen, Nachverständnis userstehen und Erkennen soll sich der Leser zunächst emotional auf den Text einlassen, dann soll dieses Nachfühlen auf die Ebene der Reflexion gehoben werden; und in der dritten Stufe wird das Nachverstehen auf die eigene Existenz bezogen. Es kommt dann zum erkennen der Kräfte, welche die Erzählung bestimmen und die durch die Erzählung die eigne Person gestalten. Das Erkennen der Erzählung führt zum Selbsterkennen und eröffnet so die Möglichkeit, sich von der Erzählung her zu verstehen. Auf dieses Erkennen folgt eine neue Ebene des Nachfühlens, ein erneutes und vertieftes Nachverständnis usf. Alle Erschließungsprozesse haben zirkuläre Strukturen. Trotzdem zeichnet sich immer ein linear-diskursiver Gang ab, weil man an den chronologischen Ablauf der genannten Phasen gebunden ist, wenn man das Verstehen im geordneten Nacheinander differenzieren will. Das Verstehen muss sich dabei in der Regel an den gröbsten Signaldominanten orientieren, wenn es überhaupt zustande kommt.
Zu b, Strukturalismus
Während sich das Subjekt beim hermeneutischen Verfahren in mehr oder weniger starker Weise engagieren muss und über geschichtliches Wissen verfügen muss, soll im Strukturalismus das Verstehen selbst elementar ausgebildet und differenziert werden. Ein Vorreiter dieser Analyse war R. Barthes. Man wollte damit erreichen, dass man ausdrücklich und vor allem die Aufdeckung der Lexie vorbereitet.
Zur Verdeutlichung: „Lexie“ ist die bestimmte Anordnung und Organisation von sprachlichen Zeichen, gewissermaßen die Struktur, und die sich aus dieser Anordnung ergebenden Relationen der Zeichen in einem Text. Durch die Signal-Relationen soll der literarische Kommunikationsvorgang ausgelöst und in Gang gehalten werden.
„Lecture“ als Modus der Rezeption ist nun die spezielle Aufnahme und Kombination der sprachlichen Zeichen im Bewusstsein des Lesers, die es ihm erlaubt, sein Verstehen auszubilden, zu differenzieren und zu kontrollieren. Dabei ist jede Leseweise, ob oberflächlich und tiergehend, von der Darstellungstechnik des Textes als mitgesteuert gedacht.
Den umfassenden Rahmen im Strukturalismus bildet die ihn bestimmten, konkreten Situationen ablaufenden Kommunikationssprozesse. Eine Methode ist das Zerlegen und Arrangieren. Verschiedene Funktionen der literarischen Gestalt sollen dabei durchsichtig gemacht werden (Kügler, 1971 S. 169 bis 189). Beispielsweise kann man die Signalfunktionen untersuchen, die Sprechhaltungen, die Beziehungen und Verhältnisse zueinander usw. die ansonsten antithetischen Kategorien „Reflexion“ und „Tätigkeit“, „Denken“ oder „Kreativität“, „Erkennen“ oder „Produzieren“, „bewusst“ oder „unbewusst“, übernehmen keine absoluten Rollen mehr. Zu Grund liegt die These, dass sich das Verstehen völlig ohne geschichtliches Hintergrundwissen ausbilden lässt: Mit Hilfe der Tiefenstrukturen menschlicher Sprechweisen soll es in die richtigen Bahnen gelenkt werden, d.h. unbewusst wird die Vergleichbarkeit zwischen dem fremden Text und dem eigenen „Text“ (= der eigenen Sprache) durch die gemeinsame Tiefenstruktur hergestellt. Dazu folgender Vorgang: Ein gegebenes Objekt wird zunächst mittels Verstand zerlegt und analysiert. Dann kommt der Leser und fügt ihm den eigenen Intellekt und die eignen Emotionen hinzu. durch das Arrangement und die Synthese dieser Ebenen entsteht ein neues, erzeugtes Objekt, ein Simulacrum. Auf diese Weise wird der Text rekonstruiert.
Zur Erklärung: „Analyse“ betrifft v.a. den formalen Plan, die Struktur. Diese Phase dient der Konstitution von signifikanten Relationen dieser Einheiten untereinander. Durch das Aufdecken der vielfältigen Zeichenbeziehungen sollte somit auch die Lexie selbst zum Vorschein kommen. Das Verfahren ist also produktiv; daran beteiligt ist nämlich immer schon der eigne Intellekt, der die Beziehungen erschließt. Ein solches hinzufügendes kreatives Moment, das wohl an dieser Stelle anzusiedeln ist, sieht Stenger („zwischen den Zeilen lesen“, KatBl 3/1977 S. 204 -212) als Konstitutivum jeglichen Textes an. Indem er feststellt, dass jeder bestimmte Text bestimmte Leerstellen offen lässt, ist er geneigt zu sagen, dass es also dem Leser überlassen bleibt, sie auszufüllen, um zum Sinn bzw zum eigenen Verstehen zu kommen. Sinn und Verstehen sind dabei immer subjektive Termini.
„Synthese“ addiert nicht einfach die zerlegten Elemente formal zu einem ganzen, sondern ist eine Tätigkeit, die die Elemente benutzt zur Erzeugung einer Welt, die der ersten ähnelt, sie aber nicht kopiert. Die Leistung des Zusammensetzen segmentierter Zeichen ist an die Kompetenz der Kombination gebunden. Man muss also Beziehungen von Elementen und Zeichen untereinander auf Grund verschiedner Kriterien herstellen. Sodann lässt man hergestellte Zeichenbeziehungen als Abhängigkeitsverhältnisse der Zeichen voneinander im vorgegebenen Kontext erkennen, so dass vom Stellenwert auf die Funktion, von der Funktion auf die Nachricht geschlossen werden kann. Das Verfahren ist also im Wesentlichen kontextuell. Diese Steuerung soll aber nicht willkürlich geschehen, sondern ist von einer mehr oder weniger verborgenen Hierarchie gesteuert, d.h. von dominierenden un abhängigen Zeichen in der Textstruktur.
Welche elementaren Verstehensleistungen für das Zerlegen gebraucht werden müssen sie in 2.5.2 weiter ausgeführt. Folgende Vorteile bringt das Lesen auf struktureller Basis:
– Kommunikationsprozesse, die dem Regelkreis von Reiz und Reaktion folgen, können unterbrochen werden und an deren Stelle durch ein Moment der Besonnenheit vertreten werden
– die Aufmerksamkeit verschiebt sich vom Bezeichneten zum vorgegebenen Zeichen, also von den Inhalten zur Funktion sprachlicher Zeichen im vorgegebenen Kontext.
– Dadurch kann die Bedeutungsfrage und – Antwort verzögert werden ohne sie zu eliminieren. Die Gefahr der zu starken Verbalisieren wird entgangen, insofern in bestimmten Phasen die Kommunikation von der Lexie abgehoben ist.
– Durch die Unterbrechung des Regelkreises von Reiz und Reaktion ist eine Operationalisierung der Lernschritte leichter möglich, so dass bei genügender Differenzierung des Verstehens noch ausstehende Lernschritte in Gruppenarbeit getan werden können.
-Das strukturale Verfahren erlaubt die Darstellung von Textstrukturen in Form einfacher Stemma, d.h. Schemata in Linienform, Skizzen und Modellen. Als Hilfsmittel der Veranschaulichichung sind diese gut dienlich.
– Diese Form der Analyse lässt sich auch auf solche sprachlichen Strukturen anwendenden, die ihre „Bedeutung“ verweigern, verzögern, abwandeln, oder allgemein gesagt, welche die sprachliche Normerwartung nicht erfüllen, z.B. mythische Erzählungen, Mosaikstrukturen, Montagen, Comics usw.
c, Rezeptionsästhetik
Diese kann man als Fortführung der hermeneutischen Methode ansehen, sie enthält aber auch Elemente des Strukturalismus. Nach Nemec/Solms (1979, S. 154-196) sind deren führende Vertreter Jauß und Iser. Im zentralen Mittelpunkt ihrer Theorien steht nicht das Werk, die Gesellschaft oder die Struktur eines Werkes, sondern der Leser, bzw. der Vorgang des Lesens. Jauß analysiert den durch die Erfahrung mit andern Texten gebildeten Erwartungshorizont des Lesers, Iser die Wirkungsbedingtheit des Textes. Dadurch sollen die Rezeptionsprozesse texttheoretisch beschrieben werden. Die zwei Varianten (Jauß und Iser) geben eine neue Theorie der Literaturgeschichte, bzw. beschäftigen sich mit den Leserrollen, die in der Struktur des literarischen Textes impliziert sind. Iser wurde- mehr als Jauß – in die neuere Literaturdidaktik aufgenommen.
Folgende Prämissen liegen zu Grunde
– Das Prinzip des historischen Subjektivismus
– Die Dimension der Rezeption und Wirkung von Literatur
– Die Produktion ist bereits als aktive Rezeption gesehen
– Das Verhältnis von Werk und Publikum als Dialog
– die Bedeutung des Werkes als im Leser erzeugte Größe
Von Bedeutung für die Bibelauslegung scheint der erste bei Iser genannte Schritt. dieser besagt, dass jeder Text zunächst von anderen Arten von Texten abgegrenzt werden muss. Er teilt Texte ein, ob seinem realen Gegenstand korrespondieren oder nicht, Wirklichkeit exponieren, normieren oder konstituieren. die auf bestimmte Gegenstände bezogenen Urteile eines literarischen Werkes werden auf Reaktionen verkürzt, die der Darstellung voraus gehen. Der text ist – so gesehen – eine Reaktion auf eine bestimmte Sichtweise von Welt und bietet dazu Einstellungen zu der von ihm konstituierten Welt. Nun steht aber der Welt des Textes nicht nur die Welt der realen Gegenstände gegenüber, sondern zugleich die Erfahrungswelt des Lesers. Beide Welten kommen nicht in jedem Fall zur Deckung. Daraus ergibt sich die Unbezogenheit eines Textes.
Vier Grade der Rezeption lassen sich unterscheiden
– die Wiederspiegelung der Realität
– Konkurrenz zu erfahrenen Welt
– Selbstbestätigung
– Widerspruch zur Vorstellung des Lesers
Die Modi eins und drei normalisieren die Unbestimmtheit der Welt und Iser misst ihnen keine hohe literarische Qualität bei. Anders beim zweiten und vierten Modus: die vorgefundene Welt und Wirklichkeit wird erfahren als eben nur eine einzige Möglichkeit von Welt und Weltsicht, die genauso gut korrigiert werden kann, oder von der man sich auch emanzipieren kann.
Als Voraussetzung gibt Iser nur an: die Fähigkeit zur Reaktion. Und diese Reaktion wird dann zum Gehalt eines Werkes erklärt, im Gegensatz zu Jauß, der einen Leser unterstellt, welcher als Literaturhistoriker aus einer Fülle literarischer Daten einen Erwartungshorizont konstituiert und diesen zum Kriterium seiner Erörterung der Texte macht. Als spezifische Leistung erscheint bei Jauß ebenfalls die Umsetzung in heutige Wirklichkeit.
2.2.2. Besonderheiten mit biblischen Texten
Wendet man die Ergebnisse von 2.2.1 und (im Vorgriff) von 2.5.1.1. auf biblische texte an, so folgt:
a, Es verhält sich nicht so, dass man eine abschließende Interpretation von Bibel geben kann und soll. Und es ist deswegen keinesfalls „das zentrale Problem der Bibelkatechese, dass in ihr die eigentliche Botschaft der Bibel zur Sprache zu bringen ist“ (gegen Barth, A: Bibel im Religionsunterricht, 1973, S.20).
Auslegung ist immer vom Kommunikationsmodus, vom Vorverständnis, vom Horizont, von der Gemeinschaft, von der Methode und von der eigenen Erfahrung abhängig.
b, „Es gibt kein desengagiertes Befragen der Geschichte, noch weniger des Handelns Gottes mit seinem Volk“ (Stachel, 1982, S.94). Das hat zur Folge, dass mit einer rein theoretischen Literatur-Interpretation noch überhaupt nichts gewonnen wäre, sondern dass sich die richtige Interpretation auf der Ebene des Handelns und Lebens vollzieht. Dazu und dafür muss Bibel immer umgesetzt, transformiert werden.
c, Bibel verlangt in besonderem Maß eine Umsetzung in das Leben von Gemeinschaften und Menschen. Gleichgültig, welcher Funktion (z.B. der Bewusstseinsänderung, der symbolischen Darstellung usw.) man den Vorzug gibt, man kommt nicht umhin, die vorliegenden Stellen zu transformieren. Kugler nennt dies das „Neue“, den „hinzugefügten Intellekt“.
Diskussion von Einwänden
Es ist die Frage, ob man mit einer Transformation nicht den Sinn verändert? Form und Inhalt stehen doch immer in Beziehung zueinander. Eine Veränderung des einen zieht doch auch eine Veränderung des anderen nach sich! Jedoch ist zu beachten, dass man nicht unbedingt der Form nachspüren müsste, wollte man den „Sinn“ möglichst rein erhalten und am sichersten vermitteln. Grund: Sprache und Sinn sind nie identisch, sondern Sprache verweist auf Sinn, richtet sich am Sinn aus, intendiert Sinn. Der Sinn eines Textes ist also immer mehr als in dessen objektiven Sprachzeichen ausgedrückt werden kann, wie auf der anderen Seite auch Sinn nie von einem Zeichen als solchem vermittelt werden kann (vgl. Heine, S., Bibeldidaktik im NT, 1976, S.33). Deswegen ist es nicht möglich, „den“ Sinn eines Textes, d.h. eine einzig mögliche Weise des Verstehens zu fixieren. Ja, Iser bestimmt sogar die Qualität eines Textes danach, ob er mehrere Möglichkeiten der Auslegung bietet oder nicht, und ob er neue Sichtweisen von Welt eröffnet.
Zudem: Da bislang kein Künstler ausformuliert und begründet hat, unter welchen Blickpunkten seine Kunstwerke betrachtet werden müssen, noch unter welchem Horizont – und beides ist nicht ausformulierbar – lässt sich Sinn und Bedeutung nicht festhalten oder direkt vermitteln. Der Sinn literarischer Texte ist nur vorstellbar, da er nicht explizit gegeben ist. Nur im Vorstellungsbewusstsein des Empfängers ist er vergegenwärtigbar.
Bereits im Neuen Testament kann man die Rolle der Transformationen nachweisen, nämlich da, wo die biblisch-neutestamentlichen Schriftsteller/Redakteure sowohl die alttestamentarischen als auch die Jesus-Überlieferungen frei variierten und mit einem anderen Sinn ausstatteten. Warum sollten wir uns, wo doch unserer gesamte Welterfahrung (vgl. 1.1.1.) verschieden von der des Neuen Testamentes ist, vor einer Transformation scheuen? Man kann mit der Bibel Erfahrungen machen, wenn man ihren Wert erkennt und die in der Bibel geschilderten Glaubenserfahrungen in gegenwärtig wirksamen Glauben verwandelt. Das wäre ein echtes Verstehen.
Kriterien für sachgemäßes Transformieren:
– die Argumentationsstruktur, die Sinnrichtung einer Stelle darf nicht zerstört werden
– das Gefüge der Handlungselemente muss erhalten bleiben
– ein Paradigmenwechsel sollte mit Vorsicht vollzogen werden, weil eine neue Begrifflichkeit konnotativ und unter Umständen schon anders besetzt ist (mehr dazu unter 2.7.)
2.3. Legitimationen für den Bibelunterricht
Mehrere Gründe zur Beschäftigung mit Bibel trotz der skizzierten Schwierigkeiten sollen kurz aufgezeigt werden. Sie erheben nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Die positiven Möglichkeiten der Interpretationen werden dann in 2.6. weiter erläutert.
a, Bestimmte biblische Stellen können die Fantasie anregen durch den Reiz des Andersartigen, Ungewöhnlichen und Fremden, setzt aber einen unbefangenen Umgang voraus.
b, Als Fundament und Ursprungszeugnis des christlichen Glaubens und der Kirche(n) ist und bleibt Bibel ein unentbehrliches Moment. Da nun Christentum für das Abendland nicht nur ein geschichtlicher, sondern auch ein kultureller Faktor war und z.T. noch ist, kann man..
c, …zeitgenössische Entwicklungen besser verstehen, einordnen und beurteilen. Das betrifft politische, gesellschaftliche und kirchliche Strömungen gleichermaßen. Allerdings regt da Bibel auch zum Widerspruch an und wird dann zum Korrektiv, weniger zur Begründung gegenwärtiger Verhältnisse.
d, „Mit der Tradition ginge auch die Freiheit verloren. Geschichtliches Bewusstsein schützt vor dem Zwang, den die Tagesereignisse ausüben. Es schafft Distanz von der (primären) Aktualität, weil es einen umfassenderen Rahmen und Horizont für den Menschen bereit hält.
e, Mit der Tradition geht nicht alleine die historische Vernunft um, immer in Gefahr, die Geschichte zu einer Summe reparierbarer Fakten zu verkürzen, sondern vor allem um die vernehmende und kritische Erinnerung, die den überschießenden Sinn der Geschichte herausbringt und heute fruchtbar macht“ (Bartholomäus, Zur Didaktik der Bibel im RU, KatBl 1976, S. 147).
f, Bibel Geist grundlegende existentielle, persönliche menschliche Handlungsmuster auf; sie scheut aber auch nicht die Sicht der Ambivalenz menschlichen Lebens wie z.B. Heil und Unheil, Freiheit und Zwang, Nähe und Distanz usw. Beide Aspekte stellt sie in das Licht des Glaubens. Biblische Grunddaten wie Schöpfung, Erlösung, Hoffnung usw. können als Funktionen gesehen werden, mit deren Hilfe die Probleme der Moderne in einem anderen Licht erscheinen, vorausgesetzt man verfügt über die Gabe des analogen Denkens.
g, Dadurch werden menschliche Erfahrungen je nachdem relativiert, geläutert, ermöglicht oder geklärt …
h,… und einer echten Sinn- und Glückssuche Anhaltspunkte und Orientierungsmöglichkeiten gegeben.
i, In der Reflexion von Erfahrungen kann auch der Dimension der Transzendenz, eines Heiligen, Heilenden Geistes nachgespürt werden.
k, Bibel hat eine Bedeutung zur Identitätsfindung und sozialisation Jugendlicher und Erwachsener. Sie erfüllt z.T. archetypische Funktionen, wobei das Einzelleben in einen größeren Zusammenhang eingebettet wird. Erforderlich dafür ist allerdings die Bereitschaft, sich mit dem eigenen Leben auseinander zu setzen.
l, Ein gewisses Maß an biblischem Wissen ist Allgemeingut.
m, Eine unüberschaubare Vielzahl künstlerischer Werke als Bilder, Skulpturen, Dramen, Gedichten, Kompositionen, Bauwerken oder Zeichnungen wurde von Bibel inspiriert oder spielt auf biblische Themen an.
n, Die Geschichte des alten Judentums- und damit die Bedingung für die Wirkungen und Aussagen Jesu – find ihren Niederschlag in biblischen Texten.
o; In der Bibel findet man geläufige Redeweisen und kann diese in ihrem ursprünglichen Kontext verstehen.
2.4. Welche Ziele?
Seit der Einführung curricularer Lehrpläne genießen Zielformulierungen eine besondere Stellung. Doch dürfen auch sie nicht ohne Hinterfragen übernommen werden. Deshalb seien einige diskutiert.
2.4.1. Lernzielkataloge
a, Der Lernzielkatalog Niels (in KatBl 96, 1971, S. 674-678)
Niehls unterscheidet zwischen Endzielen und Teilzielen; letztere nochmals zwischen affektiven und eigentlichen Lernzielen. Dabei ist weder die jeweilige Zuordnung erkennbar, noch der Grund für diese Aufteilung, noch warum Teilziele in diesen und nicht in andere Bereiche gehören.
Einige Ziele könnte man besser als Methoden bezeichnen, z.B. „3.4. biblische und außerbiblische Texte im Hinblick auf ihr Existenzverständnis gegenüberstellen“.
Mehr Schwierigkeiten bieten die „affektiven Lernziele“, z.B. „3.1. Sinnt für die sprachliche Schönheit der Texte entwickeln“. Setzt das nicht hebräische und griechische Sprachkenntnisse voraus, wie sie nicht einmal die meisten Lehrer besitzen? Außerdem hängt „Sinn entwickeln“ mit Erkenntnis- und Bewusstseinsprozessen zusammen, ist als dem kognitiven Bereich und nicht dem affektiven zuzuordnen. Andere affektive Ziele sind eher im Sinn von Voraussetzungen zur Arbeit in der Bibel zu sehen.
Aus diese Gründen halte ich den Lernzielkatalog Niehls nur für sehr bedingt geeignet.
b, Nastainczyk (KatBl 101, 1976, S.155 -165)
Er formuliert für die Sekundarstufe II in der Sparte Bibel als Geschichtsdokument 4.1.: Gesamtüberblick über die Struktur der Bibel, deren soziokulturelle Stellgrößen sowie die Höhepunkte und Wendemarken ihrer Wirkungsgeschichte gewinnen. Meine Kritik: Diese Ziel beinhaltet eine biblische Propädeutik, welche weniger ein zentrales Lernziel von Bibel ist. Zudem die Frage, welche Informationen unbedingt notwendig sind, um eine Stelle umzusetzen. Das füttern mit Informationen um des Wissens willen, wie es leider in vielen Fächern und TV-Shows praktiziert wird, bewährt sich nicht auf Dauer.
In der Sparte Bibel als Sprachdokument verstehen 4.2.: Anspruchsvolle verhaltensrelevante Texte auslegen können und sich davon herausfordern lassen. Meine Kritik: Bibel ist weniger ein Sprach- als vielmehr ein Lebensdokument. Und dafür ist es nicht zwingend notwendig, sehr anspruchsvolle Passagen auszuwählen. Können doch in einfache Stellen ebensoviele tiefgründige Wahrheiten eingewebt sein!
In der Sparte Die Bibel als Glaubensdokument verstehen und ihr Rechnung tragen ist Ziel 4.3.1: Für Glauben, Theologie und Ethos, Politik und Kultur relevante biblische Texte und Motive historisch-kritisch auslegen und auswerten können. Meine Kritik: Vor einer Überbewertung der historisch-kritischen Exegese sei gewarnt (vgl. 2.5.3.). Zum anderen ist mit Glaubensdokument nicht wie zu erwarten der persönliche Glaube gemeint, sondern die Rezeption von Bibeltexten bei anderen Menschen in einer anderen Kultur. Es wäre also besser mit Rezeptionsdokument überschriftet.
c, Langer (Praxis des Bibelunterrichts, 1975)
Er formuliert 10 Lernziele, die verschiedenen Schwerpunkten in der Bibelarbeit zugeordnet werden müssen. Einige davon gehören in die biblische Propädeutik. Andere fanden Eingang in die unter 2.6. aufgelisteten Ziele.
d, Der Curriculare Lehrplan an Berufsschulen
Im Jahre 1984 war Bibelunterricht nur in der 11. Jahrgangsstufe vorgesehen (S.47 und 48).
Die Inhaltsangaben legen eine Konzentration auf reproduzierbares Faktenwissen nahe. Man blieb bei der biblischen Propädeutik stehen und verwendete ausschließlich historisch-kritische Methoden der Erschließung, keine anderen, z.B. strukturalistische. deshalb darf bezweifelt werden, ob es so gelingt, die Botschaft der Bibel im eigenen Leben zu verwirklichen und die Bereitschaft zur Lektüre zu wecken (vgl.2.2.2.)
Aus der Fähigkeit zur Auseinandersetzung folgt noch. keine unmittelbare Umsetzung in den Lebenskontext. Und eingewisses Maß an Bereitschaft, das eigene Leben mit den Glaubenszeugnissen zu konfrontieren ist Voraussetzung, nicht Ziel fruchtbarer Arbeit.
Bei den Vorbemerkungen geht der Autor von einem statischen Textverständnis aus. Ein Grundwissen indes braucht nicht ständig wiederholt zu werden, nur ergäben sich aus dynamischen, aufeinander aufbauenden Interpretationen neue Aspekte. Verschiedene Zugänge hielten den Auslegungsprozess offen, ebenso wie verschiedene Situationen und Umstände. Es wäre kein Schaden, die gleichen Stellen im Lauf der Schulzeit öfters, aber mit verschiedenen Methoden anzugehen. Bei anderen Kunstwerken gilt es als normal, dass es mit einmaligem Anschauen oder – Hören nicht getan ist. auch die zyklische Wiederholung gleicher Texte in den Sonntagsgottesdiensten hat darin ihre Berechtigung.
2.4.2. Begründungen möglicher Lernziele
Nach G. Stachel (Erfahrung interpretieren, 1982, S.49/50) war schon der Zielfelderplan mit Schwierigkeiten und Irrtümern behaftet.
Die Hauptaufgabe der Schule in unserer Gesellschaft besteht ja nicht darin, mit Schülern Wissen zu erarbeiten, das sie nach vier Wochen wieder vergessen dürfen. Wie auch dem Synodenbeschluyss zum Religionsunterricht zu entnehmen (Freiburg, 1976, S. 113-152) spielt die reine Informationsvermittlung eine geringe Rolle. Nach Stengen/Scheuerer (Arbeitshilfen zur Einführung in den CuLP, hgg. DKV, 1977) setzt sich die Zielfindung aus vier Faktoren zusammen.
Dazu einige Bemerkungen
a, „Ausgehend von den gegenwärtigen und künftigen Bedürfnissen der Schüler“. Zu Grund liegt hier das Persönlichkeitsbild von E.H.Erikson; auch die ablaufenden Prozesse von der Unreife zur Reife wurden nach der Vorlage von Erikson benannt. Das hat zur Konsequenz, dass man die Biographie der Schüler ernst zu nehmen hat und sie als Partner anzusehen hat.
b, „Ausgehend von den gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen der Gesellschaft“. Insbesondere innerhalb des Religionsunterrichts kann man die blinden Flecken, Einseitigkeiten und Defizite der Gesellschaft gut aufdecken.
c, „Ausgehend vom vorgegebenen Inhalt“. Bibel, als lebensrelevanter Text verstanden und in verschiedener Weise aufgefächert, verlangt die Beteiligung der Adressaten. Zum Inhalt von Bibelunterricht gehört auch der Ausleger mit seinem Lebenskontext und -Horizont.
d, „Ausgehend von einem zu verändernden Verhalten“. Ergänzt durch eine „zu verändernde Einstellung“ ist hier ein Schwerpunkt von Bibelunterricht benannt.
Generell sind die Themen und Inhalte Anlässe, sich in der Klasse zu versammeln. Dem Lehrer bleibt die Aufgabe, gemäß dieser Kriterien die eigentlichen Lernziele hinzuzufügen. J.und M. Grell gaben ein ausführliches Such- und Prüfschema zur Identifikation solcher sinnvollen Lernziele (1981, S.180-183). Sie formulierten Fragen zur Beurteilung der fachlichen (Wissens-)Lernziele und halfen bei der Suche nach bedeutsamen erzieherischen Lernzielen.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann es allerdings nur darum gehen, erst einmal die zunächst benötigten inhaltsbezogenen Ziele im Zusammenhang mit Bibelunterricht anzugehen. Aus diesen Gründen verstehen sich sämtliche Ziele nicht als Endziele.
Allgemein könnte man im Voraus für den Bibelunterricht nur als Zielrichtung angeben: die Schüler sollen zusammen mit dem Lehrer im Rahmen der Identitätsfindung den Prozess einleiten können, der ihnen Erfahrungen machen lässt und der das Verstehen der Texte immer mehr ausbildet und differenziert. Gemäß den zwangsläufig zu wählenden Schwerpunkten im Umgang mit Bibel lassen sich dann weitere Ziele mit oben genannten Einschränkungen machen.
2.5. Voraussetzungen für die konkrete Arbeit
2.5.1. Bereitschaft zur Lebensauslegung aus den Glaubenszeugnissen
Noch vor den wissenschaftlichen und methodischen Voraussetzungen muss in erster Linie die persönliche treten, aufgrund derer der ganze Mensch in das Auslegungsgeschehen hineingenommen ist. Deshalb sei zuerst die Gewichtigkeit der eigenen Erfahrung dargelegt, insbesondere in ihrem Verhältnis zum Glauben. Dabei wird deutlich, was bei jedem LERNEN Aufgabe und unverzichtbarer Anteil ist. Zuletzt werden Einwände diskutiert.
2.5.1.1. Auslegung – nicht ohne die Schülererfahrungen!
Im Folgenden gilt die These, dass LERNEN immer das Resultat von Einarbeitung neuer INFORMATION in die eigene ERFAHRUNG ist. Eine besondere Relevanz gewinnt diese Ausgangsthese in Verbindung mit einer anderen These, nämlich, dass Glaube auch mit Lernen zu tun hat. Denn: „Wie alles Menschliche müssen auch die Glaubenserfahrungen erlernt werden. Sie überfallen uns nicht von irgendwo her, sondern h haben ihren Grund“ (Schillebeecks, Erfahrung und Glaube, in: christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd 25, 1980, S.80).
Religion als Schulfach bezieht daraus sein Rechtfertigung . In Kombination beider Thesen kann so gesagt werden: Lernen im Glauben findet statt, wenn auf dem Hintergrund der bestehenden religiösen eigenen Erfahrungen neue Informationen verarbeitet werden. Dabei entstehen neue Glaubens-Erfahrungen, welche wiederum die Basis für neue Informationen bilden.
Erst wenn der Lernende/Mensch aus den Informationen, Eindrücken oder Umweltreizen selbständig eine religiöse Erfahrung konstruiert, findet Lernen im Glauben statt.
ERFAHRUNGEN
Grundsätzlich erfolgt die Erfahrung einem Stufenaufbau in drei Schritten, welche auch als aktive Eigensteuerung bezeichnet werden können:
a, aus der empirischen Wahrnehmung/Erlebnis mittels der Sinnesorgane
b, dem Aneignen/Zulassen dieser Wahrnehmung und der kognitiven Hinwendung
c, dem Verstehen
Trifft nun die vorhandene Erfahrung auf eine neue (passive) Information, und der Rezipient lässt den o.g. Dreischritt zu, dann geschieht Lernerfahrung. Diese ist dann der Hintergrund für die nächsten Informationen, welche insofern sie zugelassen und verarbeitet sind, eine erweiterte Lernerfahrung bilden. Dieser Prozess hat kein absehbares Ende.
Wenn nun Glaubens- mit der Lernerfahrung gleichgesetzt wird und auf Informationen mit religiösem Traditionsgut/Bibel trifft, das ja seinerseits auf Erfahrungen beruht, und das Menschen vor uns in einem über Generationen verlaufenden Prozess gesammelt, gefiltert, gespeichert und weitergereicht haben, dann erkennt man die Bedeutsamkeit und gegenseitige Bezogenheit beider Komponenten für den Glauben: die der Information und die der persönlichen Erfahrung. Mit Schillebeecks kann man sagen: „Religiöse Lernerfahrungen sind bestimmte angeeignete Erfahrungen mit wahrgenommenen (erg. angeeigneten und verstandenen) weltlichen Erfahrungen…Religiöse Lernerfahrungen macht man an und mit alltäglichen einzelnen menschlichen Erfahrungen, aber im Licht und auf Grund der bestimmten Tradition (d.h. auf Grund des bereits vorhandenen Lernerfahrung-Horizontes und der religiösen Informationen), in der man steht und die als sinngebender Interpretationsrahmen dient“ (1980.S.81).
Auf diese Weise wird ein dialektischer Prozess aufrecht erhalten. Und angenommen, die Kategorie `Verstehen´ist aus dem direkten Dialog zwischen Text und Rezipient als didaktisch fassbar, muss sogar jede Literaturdidaktik künftig den Textumgang den Textumgang nicht in Form von Interpretationen bereit stellen, sondern primär als differenzierte Prozess-Beschreibung, d.h. in Form von Kommunikationsmodellen. Die Aufgabe des Religionsunterrichts wäre nun erfüllt, wenn es gelänge, diesen Prozess ins Rollen zu bringen. Das ist der eine Punkt. Aus dem oben angedeuteten Schema ist auch ein Zweites ersichtlich: Zum Unterricht gehören immer zwei: ein Lehrer, der den fremdgesteuerten Teil = die Information übernimmt, und ein Schüler, der seine Selbststeuerung einschaltet und für sich persönlich eine Erfahrung aus den Informationen herstellt, d.h. der wahrnimmt, den eigenen Horizont bereitstellt, sich das Wahrgenommene aneignet und schließlich besitzt.
Ein Lehrer kann also prinzipiell nicht mehr tun, als dem Schüler beim Prozess der Erfahrungsbildung hilfreich sein können. Er bietet den Schülern auch diejenigen Informationen als Material, die den rahmen abstecken, innerhalb dessen die Schüler bleiben müssen, um bestimmte und nicht irgendwelche Erfahrungen zu machen. Bei jedem Lernprozess leistet ständig der Lernende die Hauptarbeit. Es wäre eine Überforderung, sofort bei jedem Schüler hervorragende Lernprozesse bewirken zu wollen oder von jedem einzelnen Schüler optimale Reaktionen auf eine besondere Art der Lernsteuerung zu verlangen. Die Vermittlung von Information ist lediglich Ausgangspunkt, nicht Ziel für Lernprozesse. Mehr in 2.4.
2.5.1.2. Einwände
a, Wenn die Schülererfahrungen so im Mittelpunkt stehen, gibt es da noch eine objektive Deutung? Jeder hat ja etwas andere Vorerfahrungen.
Dazu ist zu sagen, dass es nicht das Ziel sein soll, möglichst objektive Deutungen an den Mann/die Frau zur bringen, sondern gerade den Informationen erst Bedeutung zukommen zu lassen und den (Be-) Deutungsprozess zu fördern, nicht persönliche Erfahrungen abzublocken. Die Gefahren einer abschließenden leseweise (vgl.1.2.1) sind wesentlich höher zu veranschlagen als die vielleicht zufälligen, aber persönlichen Deutungen; würden doch die vielschichtigen Konnotationen literarischer Sprache zur Denotation werden, womit eine echte Kommunikation nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Die Wichtigkeit der Schüler-Anteile am Unterricht geht auch aus einem verstehenden Umgang mit Texten hervor. Und: die Wahrheit einer Auslegung erweist sich immer im Vollzug des alltäglichen, konkreten Lebens, an den Fakten.
Notfalls kann man ja allzu abwegige Interpretationen mit Hilfe der exegetischen Erkenntnisse korrigieren. Dem Vorwurf der Beliebigkeit wird man auch entgegen arbeiten können, wenn man sich bei der Bibelarbeit auf dem Hintergrund sorgfältiger Analysen der gesellschaftlichen Alltagsrealität an den Grundduktus biblisch – christlicher Überlieferung hält: an die Option für das volle Menschsein des Mensch.
b, Genügt nicht eine Analyse und Interpretation biblischer Texte und kirchlicher Dokumente?
Nein. Denn auch die Antwort auf die Frage, wer Jesus war und welches Heil wir in ihm von Gott her in unserer Zeit erfahren können, darf nicht so einseitig gegeben werden. NUR in einer Korrelation der Pole Analyse von Bibeltext und heutiger Grunderfahrung und heutiger Gesellschaft werden neue Einseitigkeiten vermieden.
c, Sollte dann aber nicht nur analysiert, sondern auch an den Vorerfahrungen Kritik geübt werden? Dazu meint Schillebeecks, dass sich diese Kritik wiederum nicht nur auf die heutige Zeit beschränken lassen darf. Freilich hat jede Zeit ihre spezifischen blinden Flecken und bedarf der kritischen Erinnerung; genauso ist bis zu einem gewissen Maß auch Kritik nötig, die aus den Erfahrungen unserer Zeit an die überlieferten Zeugnisse zu richten ist (Schillebeecks, a.a.O. S. 94-102). Jede Erfahrung hat eo ipso Autorität. Der Schlüssel liegt „im lebendigen Kontext einer wechselseitigen theoretisch-kritischen und praktisch-kritischen Korrelation der Glaubenserfahrungen damals und unserer Grunderfahrungen heute“. Die vermittelnde Rede dürfte die gegenseitige Kritik sein.
2.5.2. Einführung und Vertrautheit mit der literarischen Formensprache
In Anlehnung an die in 2.2.1. dargelegten Punkte sollen weiter Einzelheiten einer strukturalistischen Beschäftigung mit texten erörtert werden. Angezielt ist allerdings kein routiniertes Exerzitium, keine nur technische Beherrschung, sondern eine Hilfe in das persönliche Einarbeiten. Entsprechend den prinzipiellen Zeichenbeziehungen ergeben sich drei Schwerpunkte:
a, Innerhalb der Signifikant- Signifikat-Relation. Es wird die Beziehung des Zeichens zu dem von ihm Bezeichneten hergestellt.
b, Durch die Beziehung des Zeichens zur Klasse oder zu einem System, dem es entstammt und in dem es sich auf Grund der kleinsten Differenz unterscheidet (=paradigmatische Beziehungsebene).
c, Durch die Beziehung des Zeichens in einem aktuell vorgegebenen Textzusammenhang, d.h. die Beziehung, die es zu den vorausgehenden oder nachfolgenden Zeichen in einer konkreten Darstellung einnimmt (=syntagmatische Beziehungsebene),
Vor allem die letztere ist entscheidend, weil dabei am besten die Lexie in Erscheinung tritt (nach R. Barthes). Die gute Kenntnis der Struktur lässt somit auch ein Transformieren leichter gelingen.
Als Kategorien der Zerlegung kommen in Frage:
parallele
antithetsch parallele Z E I C H E N
genau entgegengesetzte
symmetrisch sich wiederholende
Für das Zerlegen müssen nur vier elementare Verstehensleistungen erbracht werden:
a, Gliedern einer vorgegebenen Textsequenz im Nacheinander der Zeit. Der prozessuale Ablauf muss aus der formalen Reihenbildung zu chronologisch zusammengehörigen Zeiteinheiten geordnet werden. Der Ergebnis kann auf eine Fläche projiziert werden.
b, segmentieren (Aussondern) einer in sich geschlossenen Einheit im prozessualen Verlauf, insofern diese den Handlungsablauf unterbricht, anhält oder retardiert. Voraussetzung hierfür ist dieEinsicht in die Besonderheit im linearen Prozess.
c, Vergleichen. Dies kann auf sehr vielfältige Weise und sogar unter sehr schwierigen Textbedingungen erfolgen. Die elementarste Form ist das bewusste Kontrastieren einander entgegen gesetzter Einheiten. Man bewegt sich aber immer nur innerhalb eines Segments. Das Vergleichen, gegenüberstellen oder Kontrastieren kann auf verschiedenen Ebenen geschehen: auf der optischen Wahrnehmung, der elementaren Reflexion (nach evtl. assoziationsartig ablaufenden Oppositionsketten) und schließlich auf der Ebene der Symboldeutung.
d, Die gegliederten, segmentierten und kontrastierten sprachlichen Elemente werden zu Zeichen („Indizes“) reduziert , die aufeinander verweisen, wie dies schon in der kleinsten Einheit der distinktiven Funktionen aufeinander bezogenen Oppositionen sichtbar wurde.
Die so beschriebenen Analysevorgänge können nun je nach den schulischen Voraussetzungen weiter aufgeteilt werden in kleinere Einzelschritte. Dormeyer (1976, S.95bis104) beschreibt im Rahmen seiner Sprechakttheorie, welche Rollen und Bedutungsträger im Neuen Testament agieren.
2.5.3. Der Beitrag der historisch-kritischen Methoden
Um allzu grobe und irreführende Fehlinterpretationen auszuschließen, muss wenigstens der Lehrer über ein exegetisches Grundwissen verfügen. Auch eine Übertragung in andere Zeiten und Umstände kann mit verschiedenen Arten der Transformation besser gelingen, wenn der Ausleger über exegetische Fragen Bescheid weiß, zum Beispiel:
– Was kann historisch richtig sein, bzw. in welchem Verhältnis stehen biblische Texte zum Begriff „wahr“?
– Wie war das religiöse Umfeld beschaffen? Welche Parteien gab es und wie standen sie zueinander?
– Wie kam es zu dieser literarischen Gestalt? Welche Geschichte verarbeitete, kommentierte oder begründete ein solcher Text?
– Wie gut ist die Textstelle bezeugt?
– Welchen damals geläufigen (Umgangs-) Formen entspricht ein Text?
– Welchen „Sitz im Leben“ kann man daraus eruieren, etwa Kult, Predigt, Apologetik, Mission, Polemik, Erbauung oder Paränese.
– In welchem Kontext steht eine Passage?
– Welche Absichten verfolgte ein Redakteur? Worauf kam es ihm wahrscheinlich an? Welche Aussage ist ausschließlich auf seinen Mist gewachsen?
Dabei ist nicht vonnöten, dass man über die neuesten Forschungsergebnisse Bescheid weiß. Lediglich ein Grundwissen solle parat gehalten werden, soweit es für die Bibel relevant ist. Es gibt fünf Gründe, welche die Anwendung historisch-kritischer Methoden relativieren:
a, Nach einer realistischen Einschätzung sind diese Methoden in ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt. S.Heine (biblische Fachdidaktik im Neuen Testament, 176, S.99-114) benennt einige der Nachteile und einseitigen, daher falschen, Voraussetzungen.
b, die Einsicht in uneinheitliche Detailauskünfte der Exegeten trotz Anwendung gleicher Methoden.
c, Die historisch-kritische Exegese erweckt den Anschein, als wäre sie in der Lage, eine verbindliche Interpretation biblischer Texte geben zu können, weil sie der „Wirklichkeit“ des Gewesenen am nächsten komme. Gerade für das Empiriebewusstsein des modernen Menschen spielt dieser Hinweis als Kriterium für Wahrheit eine wichtige Rolle, wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt. Dass aber religiöse Texte nicht nur auf die Wirklichkeit des Vergangenen, sondern auch auf die Wirklichkeit des Gegenwärtigen und Zukünftigen rekurrieren und eigentlich symbolische Qualität haben, kann von analytischer Kritik nur bedingt aufgenommen werden. Die Möglichkeit der Gleichwertigkeit von Analyse und Intuition für den Eckenntnisakt wird von der wissenschaftlichen Exegese methodisch nicht reflektiert.
d, Vorgehen und Anspruch der historisch-kritischen Exegese vermitteln Distanz und damit entfremdetes Umgehen mit Inhalten, deren eigentlicher Sinn es ist, betroffen zu machen, also Distanz aufzuheben. Ihr Prinzip ist es gerade, durch Kritik, Analogie und Korrelation auf den „garstigen Graben“ zwischen heutigen Menschen und antikem Geschehen hinzuweisen. Behindert wird damit aber ein augenblickliches Angesprocheneren von dem einen oder anderen Inhalt, weil gefürchtet wird, man könne missverstehen oder unangemessen interpretieren. So wie ein Roman oder anderer literarischer Text zunächst „anreden“, „ansprechen“ soll, so wollen auch die biblischen Texte zunächst einen Gedanken, eine Lebens- und Glaubenshaltung unvermittelt dem Leser oder Hörer gegenüberstellen. Der französische Philosoph Paul Ricoeur hat auf diesen Aspekt eindrucksvoll hingewiesen, indem er bemerkt, dass zur Interpretation eines Textes nicht nur die Analyse des Gewordenseins dieses Textes gehört, sondern ebenso der Eigenwert und der Eigensinn des Textes. „Erklären“ und „Verstehen“ sind für ihn nicht Gegensätze hermeneutischen Verfahrens. Ein Text, und gerade ein biblischer, stellt von vornherein einen „Entwurf von Welt“ dar, der bei aller Erklärung und Analyse nicht wegzudenken ist: „Was ich mir schließlich aneigne, ist ein Entwurf von Welt; dieser findet sich nicht hinter dem Text als dessen verborgene Intention, sondern vor dem Text als das, was das Werk entfaltet, aufdeckt und enthüllt. Daher heißt Verstehen Sich-Verstehen-vor-dem-Text.
e, In Verbindung der zwei zuletzt genannten Punkte kann man einwenden, dass die Methodik modernen wissenschaftlicher Exegese im Grund zu einer Verobjektivierung biblischer Inhalte führt, und damit steht sie auf einer Stufe mit der Verobjektivierung des gesamten Lebens in den Naturwissenschaften. Damit sind zum einen die schon zuvor genannten Gefahren einer autoritativen Interpretation und künstlichen Verstärkung der Distanz zwischen Inhalt und Interpret verbunden. Zum anderen ist mit der Verobjektivierung ein Aspekt gemeint, den ein Hauptvertreter dieser Forschung so beschrieben. hat: „Die Gefahr einer hochgezüchteten aber steril gewordenen wissenschaftlichen Technik ist gerade in dieser Disziplin nicht zu unterschätzen. Ihr korrespondiert dann die Gefahr einer Resignation, die sich von dem wissenschaftlichen Umgang mit den Texten oder gar von diesen selbst nicht mehr viel verspricht.“
Man kann allerdings immer noch auf einen Kommentar Bezug nehmen,, insbesondere wo im Text Leerstellen auftauchen, berechtigte Fragen bestehen oder Ergebnisse entfernt werden müssen, die als zu abwegig gelten müssen; der Kommentar hat hier als Kontrollfunktion. Jedoch muss auch er kritisch gelesen werden: Enthält er die von der Mehrdeutigkeit des Textes eröffnete Vielfalt, oder ist er auf eine einige Interpretation beschränkt?
Hilfreich ist eine allgemeine und einfache Einführung in die Entstehung und in die Zeitumstände biblischer Bücher, geschichtlichen Grundwissens und die Beherrschung einfachen exegetischen Vokabulars.
2.6.Inhalt und Ziele spezifischer Typen von Bibelunterricht
Die nun folgende Aufzählung verantwortbarer Typen von Bibelunterricht versucht einen groben Überblick, ein Raster, in welches sich jede Bearbeitung biblischer Texte einordnen lassen müsste. Nicht jede Stelle oder jede Schulklasse wird für alle Typen gleich geeignet sein. Diese Raster möchte lediglich Schwerpunkte setzen und nicht, genau abgrenzbare Felder unvermittelt hintereinander abhacken.Dass die Übergänge in vielen Fällen fließend sind, lässt sich an den Zielformulierungen erkennen. Diese erheben nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Wie aus der Zielediskussion folgte, müssen den meisten kognitiven Zielangaben ohnehin nicht affektive, pragmatische oder seelisch-geistige hinzugefügt werden, ganz entsprechend der Fantasie der Lehrkraft, den Fähigkeiten der Schüler und der zur Verfügung stehenden Zeit. Die Begründungen für diese Zielformulierungen sind unter 2.3. angerissenen.
2.6.1. Bibelunterricht in Verbindung zur eigenen und individuellen Lebensgeschichte.
Damit ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit angeschnitten. Sämtliche Vorübergegangen, Voraussetzungen, ja selbst andere Typen von Bibelunterricht kulminieren hierin. Das ganze Leben in seinen verschiedenen sozialen, politischen, kulturellen, religiösen und beruflichen Vollzügen muss ja stets von einer einzigen Personmite her getragen koordiniert und verantwortet werden, sollen nicht diese Handlungsdimensionen in schizophrener Weise auseinander fallen. Um diese Personmitte geht es letztlich in jeder Zeile der Bibel. Die Person soll sich betreffen lassen und auf das Glaubensangebot antworten.
Bibel hält Antworten auf die vielen Menschen gemeinsamen großen Lebensfragen parat. Jeder Mensch muss jedoch diese seine Antwort neu artikulieren. wenn es nicht gelingt, mit diesen Antworten Erfahrungen zu machen und Bibel in das Leben zu integrieren, wären diese Bemühungen umsonst. Die Wurzeln dieses Ansatzes reichen zurück bis Rudolf K. Bultmann , der ausgeht vom existentiellen und individuellen Selbstverständnis des Menschen. Für ein Gelingen ist hier mehr als in den anderen Typen von Religionsunterricht eine genaue Aufbereitung der „Information Bibel“ erforderlich.
Zielformulierungen
Zusammenhänge zwischen Ereignissen des alltäglichen Lebens und biblischen Abschnitten herstellen können
Sich selbst als gemeint und angesprochen erkennen
Analoge und homologe Strukturen der Bibel unterscheiden können
Auf dem Hintergrund der eignen Erfahrungen die religiös geprägte Sicht der Dinge in der Bibel anerkennen und sich dazu anstecken lassen, auf diesem Weg weitere Erfahrungen machen zu wollen
Wendepunkte und markante, prägnante Erlebnisse im Sinn biblischen Glaubens deuten können
Sich von dieser Sicht inspirieren lassen
2.6.2 Bibelunterricht als Beitrag zur christlichen Sprachlehre
Nicht selten verwendet Bibel ein uns fremde Sprache. Obwohl wir meist keine wortwörtlichen ÜBersetzungen vorliegen haben, treffen einige der Bilder, Begriffe, Bilder und andere Sprachelemente auf Unverständnis und Ablehnung. Das ist nicht nur „Schuld“ der Bibel. Dabei sind mit dem Verlust bestimmter Wörter und Bilder auch die mit ihnen gemeinten Wirklichkeiten nicht mehr artikulierbar. Oft fehlen die benötigten Ersatzbegriffe. Gründe: In unserer Zeit sind einige dieser Begriffe nicht etwa vergessen, sondern bewusst gemieden, ja tabuisiert. Ungemütliche Assoziationen im Gesamtzusammenhang von Glaube und Religion begleiten diese Begriffe. Um dem entgegen zu wirken kann man die Sprache der Bibel der des Alltags anpassen, d.h. Texte bewusst umstrichen lassen. Oder man erläutert an Hand einiger zentraler Stellen die spezifische Begrifflichkeit, füllt sie mit Bedeutung und erlernt=erlebt sie damit. durch die Kenntnis und Anwendung sprachlicher Auzsdrucksmittel gewinnen die Schüler differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten für Situationen des Alltags, werden aufmerksam auf Zusammenhänge der Texte untereinander und können u.U. auf diesem Weg Vorurteile mindern. Nicht zuletzt kann der Abstand zwischen der Alltagswelt und dem Glauben nur durch die sprachliche Mitteilung und durch Versachlichung überbrückt werden. Mit G. Baudlers „bibeldidaktischem Viereck“ (in KatBl 1/1978, S.367-374) zwingt man religiöse heterogen empfindenden Menschen nicht gleich zu einer existentiellen Identifikation mit einem Begriff oder Text, sondern gibt einen kleinen Anstoß, das Leben und Denken auf jene Dimension hin zu öffnen, von der her eine Identifikation erst möglich ist. Baudler weist auf verschiedene Arten des Umsprechens hin. Wesentlich ist, dass Geschehen und Sprache miteinander verschränkt sind. Unheil oder Heil z.B. entsteht nicht nur durch dessen Benennung, sondern konstituiert sich gleichzeitig mit der Benennung. Geschehen und Sprache sind Interdependenz in dem, was wir Wirklichkeit nennen. Eine neue Sicht der Dinge schafft somit immer eine neue Welt
SPRACHE IST DER SCHLÜSSEL ZUR WELT
Sprache dient schließlich nicht nur zur Sinnfindung , sondern ist bereits ein Konstitutivum bei der Sinnstiftung. Das trifft allerdings nur auf ehrliche Sprache zu, also auf Sprache, die meint, was sie benennt. Sprache, die etwas völlig anderes meint als das Gesagte oder die Unsinn formuliert oder nichts wirklich Erfahrbares abbildet, wie es etwa in der Werbung geschieht, ist in diesem Sinn degeneriert. Ebenso Sprache, die reine Floskeln gebraucht, kurzum: Sprache muss auf eine echte Wirklichkeit hin verwendet werden, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie wird wirkmächtig, wenn sie als erhellende und kritische Deutung der jetzigen Welt verwendet wird und ihr damit Sinn gibt. Eine Wechselwirkung von Sprache und Erfahrung legt auch J. Hoffmann Herreros nahe (in: Mit der Sprache am Ende, in E.Meier (Hrg) Sprachnot und Wirklichkeitszerfall, 1972), wenn er sagt: „Eine Erweiterung religiöser Erfahrung hat stets auch einen Zuwachs in sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten bedeutet…Stagniert dagegen das religiöse Denken und Fühlen oder versickert, so hat dies eine Schrumpfung des Bereichs der Sprache zur Folge, der eine religiöse Sinndeutung des Daseins artikuliert.“
Zielformulierungen
— Umsprechen herkömmlicher Wörter und Begriffe der Bibel in Alltagssprache
— Neue Wörter frei assoziieren und erfinden können
— Anhand einer Bibelstelle Wirklichkeiten benennen können
— Mit Texten spielerisch umgehen können
— Scheu vor alten begriffen abbauen
— Symbole umschreiben und deuten (vg. 2.6.3.)
— Alltagssituationen um- und beschreiben
— Zentrale, immer wiederkehrende Begriffe und Bilder der Bibel kennen und deuten
— Herkunft und Kontext bestimmter Begriffe einordnen und in neue Situationen einsetzen können
2.6.3. Bibelunterricht der die kollektiven Tiefenschichten der menschlichen Existenz erschließt
Gemeint sind hier die regelmäßig ablaufenden, immer wieder kehrenden Prozesse des Lebens und die Wurzeln unseres Daseins
Mit Hilfe der Arbeit an der Bibel sollen die tieferen Schichten des Daseins angesprochen und nachgespürt werden. Es ist dabei eine Art des Denkens zu fördern, welche die – auch in der Bibel verwendeten -Bilder und Symbole mit einbezieht. Im Grunde geht es darum, anhand bestimmter Textpassagen die ganze Wirklichkeit zu erfassen, zu der neben dem rational-diskursiven Denken gleichberechtigt das Denken in Bildern, Symbolen und Mythen gehört. Da dieses ganzheitliche Denken durch den modernen „Way of Life“ verloren zu gehen droht, besteht hier die Chance, wenigstens ansatzweise sich diese Erlebniswelt zu vergegenwärtigen. Hauptvertreter dieser Richtung sind Diehl und Dormeyer.
Welch enge Verwandtschaft zwischen Märchen und Bibel besteht beschreibt Bruno Bettelheim (Kinder brauchen Märchen, 1980, S. 64-65): „Biblische Geschichten, Mythen und Märchen waren die Literatur, die während annähernd der ganzen Menschheitsgeschichte jedermann – Kindern und Erwachsenen – zur Erbauung diente. Abgesehen davon, dass Gott im Mittelpunkt steht, sind viele biblische Geschichten dem Märchen sehr ähnlich“.
Beispiel: Jona und der Walfisch. Eine Geschichte zwischen Flucht und Fluch
Da flieht Jona vor der Forderung seines Über-Ichs =seines Gewissens, gegen die Bosheit der Leute von Ninive zu kämpfen. Die Prüfung seiner moralischen Standfestigkeit ist wie in so vielen Märchen eine gefährliche Reise, auf der er sich bewähren muss. Bei der Fahrt übers Meer landet er im Bauch des Wals. Dort- in großer Gefahr – entdeckt Jona seine höhere Moralität, sein höheres Ich, und wird auf wunderbare Weise neu geboren. Erst jetzt ist er bereit, die seine Mission zu erfüllen. Er ist aber noch nicht am Ziel, denn zur wahren Menschlichkeit gehört das Integrieren aller Persönlichkeitsanteile.
Denn als er die Stadt verflucht, die Bewohner aufrüttelt und ihnen ihre Verderbtheit vorhält, ja sogar mit der totalen Zerstörung als Strafe Gottes droht, muss er einsehen, dass er damit falsch liegt. Er macht sich frei von sowohl seinem kindlichen Impuls, vor der Aurgabe davon zu laufen, als auch von den starren Forderungen seines Eltern-Ichs, dem er den blinden Gehorsam verweigert. So gelangt er zu authentischen Menschsein und erkennt schließlich die Weisheit Gottes, der die Bewohner von Ninive nicht nach einem sturen Schema von aufgesetzten Maßstäben beurteilt, sondern unter Einbeziehung ihrer menschlichen Unvollkommenheit keine Perfektion erwartet. Ihr Fehlverhalten wird letztlich mit ihrer Unbewusstheit entschuldigt.
Eine umfassende religionsgeschichtliche Studie zum Thema Jona verfasste Ulrich Steffen (1963). Der Autor geht dem Jona-Motiv in der Kunstgeschichte und in Vergleichen mit sogenannten primitiven Völkern nach und zieht Parallelen zwischen dem Mythos von der Ewigen Wiedergeburt, Verschlingungsmythen und – Riten, dem Alten und Neuen Testament, der Taufsymbolik und der Christologie.
Ein nahezu unerschöpfliches Feld symbolische Deutung aus dem Neuen Testament sin die Wundergeschichten und Gleichnisse Jesu. Zur Deutung müssen dabei nicht unbedingt vorgefertigte Symbolinterpretationen nach oben genanntem Muster, nach Spiegel (psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte, 1972) oder C. Meves (die Bibel antwortet in Bildern, 1977; dort weitere Literaturangaben) oder Niehl ( Bibel auslegen für Heiden und Christen, in KatBl 10/1982 S. 762/763) angeboten werden.
Kritischeen Einwände
a, Um in der symbolischen Interpretation zu fruchtbaren Ergebnissen zu kommen, muss u.U. neben den in 2.5. aufgeführten Voraussetzungen noch eine Einübung in Formen kontemplativer Textbetrachtung vorgeschaltet werden. Es ist die Frage, ob das in der Schule geleistet werden kann.
b, Die Funktion des ganzheitlichen Denkens können auch andere Medien erfüllen, z.B. die Bildbetrachtung, Naturalmeditationen etc. Schüler haben dazu vermutlich einen einfacheren Zugang.
Trotz der Einwände erscheint es sinnvoll, auch mythisch-biblische Elemente im Unterricht zu thematisieren, nicht nur um der menschlichen Tiefenschichten willen, sondern auch um die uns entfernten Vorstellungen und Bilder, z.B. Engel, Teufel, Gericht, Dämon usw., zu entmythologisieren und mit neuen Inhalten zu füllen.
Zielformulierungen
— Fähig werden, symbolische Bilder als solche zu erkennen und mit eigenem Gehalt auszufüllen
— Die Vieldeutigkeit eines Symbols, auch dessen Ambivalenz erkennen
— Sich für die Welt der Bilder, Archetypen und Mythen öffnen
— Erkennen, dass es unbewusste Persönlichkeitsschichten gibt
— Gestalten und Ereignisse, von denen Bibel erzählt, als Modelle menschlichen Selbstverständnisses und der Lebensbewältigung, als Möglichkeit zur Identitätsfindung auffassen
2.6.4. Bibelunterricht als Herausforderung zu kritischem Bewusstsein und sozialem Handeln
Im Mittelpunkt steht hier der Mensch als sozial interagierendes Wesen. Es geht darum, die für das Handeln ausschlaggebenden Normen und das Wertgefüge der Gesellschaft von der Bibel her kritisch zu beleuchten (z.B Konsumgesellschaft, Wachstumsideologie, Entfremdung, Ausbeutung). Zur Vorbereitung macht man dazu geschichtliche Entwicklungen deutlich und verständlich. Es kommt darauf an, aus dem Dialog zwischen den Erfahrungen von heute und übertragbaren Erfahrungen, die die Bibel reflektiert, gesellschaftliche Anstöße zu gewinnen. Angezielt ist ein gesellschaftsveränderndes Handeln auf eine gemeinsame Zukunft der Menschheit hin. Diese verändernde Kraft im Sinne einer Realutopie zieht ihre Überzeugung und ihren über die Jahrhunderte aktuellen, immer wieder faszinierenden und herausfordernden Schwung, die Idee und ihre Anziehungskraft aus einer religiösen Motivation (= Hoffnung im Horizont der Eschatologie). Einem rein rationalen Humanismus würde ich nicht diese Durchschlagskraft zutrauen. Er müsste schon von so großer Begeisterung bewegt und durchgetragen werden, dass er in seiner Tiefe letztlich auf einem religiösen Pfeiler steht. Letztlich könnte man meinen: Es gibt keine durchhaltende und wirksame, zum Besseren hin verändernde Kraft, die nicht im weiten Sinn religiös fundiert ist.
Bibelunterricht kann dazu dienen, verkrustete Strukturen aufzusprengen und den Menschen zu einem freien und verantwortungsfreudigen Handeln zu motivieren. Jesus mit seinem entschiedenen Eintreten für Gleichberechtigung, seiner Ablehnung von Vorverurteilungen und seinem Augenmerk auf das Wesentliche gilt als ein KORREKTIV unserer bildungs-, wirtschafts-, gesellschafts-, kirchen- und sozialpolitischen Entscheidungen.
Der Autor Iser bemisst ganz allgemein Literatur danach, welchen Beitrag sie zur Emanzipation, Kurskorrektur, Konkurrenz oder Widerspruch zur Realität anzubieten hat (vg. 2.2.1.).
Kritik: Würde man damit nicht Bibel zu einem auswechselbaren Stück Literatur machen? Können das nicht soziologische, anthropologische oder psychologische Studien besser? Richtig daran ist, dass Psychologie oder Soziologie ein exakteres Instrumentarium entwickelt haben, um Vorgänge und (Fehl-)Entwicklungen zu beschreiben und zu analysieren, bzw. aufzuarbeiten. Und nebenbei bemerkt haben ja viele dieser Forscher einen explizit religiösen Hintergrund. Doch generell geht es – speziell nach der Lehre Jesu – nicht um diese oder jene genau festzumachende Verhaltensweise und Korrektur, sondern um eine gesamte Neuausrichtung in der Einstellung des Menschen (= Metanoia!!). Er distanziert sich von der reinen Befolgung von Gesetzen, sondern sucht nach den höheren Werten (= Reich Gottes). Insofern sind die neueren Wissenschaften und Einsichten kein Widerspruch, sondern Ergänzungen zum Neuen Testament. Für die konkrete Umsetzung sollten klare Analogien hergestellt werden können, z.B. die Ähnlichkeit vom biblischen „Zöllner“ mit einem rein profitorientierten, ausbeuterischen Verhalten.
Zielformulierungen
— Aussagen biblische Texte hinsichtlich ihrer sozialen und politischen Bedeutung verstehen und auf aktuelle Vorgänge beziehen
— Werte und Ethik aus einer Bibelstelle ableiten können
— Werteinstellungen der Gesellschaft in Frage stellen
— Motivierung zu sozialem und verantwortbarem Handeln aus biblischen Stellen ableiten können
— Über Handlungsdispositionen verfügen, die zum Gelingen einer Gemeinschaft beitragen
— Aussagen biblischer Texte aus dem ursprünglichen Sinnzusammenhang verstehen und von daher auf ihre gesellschaftliche, existentielle und religiöse Bedeutung interpretieren können
— Überkommene Rezeptionen kritisch hinterfragen können
— Zusammenhänge zwischen individuellen und sozialen Bezügen herstellen können z.B. Gottes- UND Nächstenliebe
— Den Mensch in seinem sozialen Kontext sehen
2.6.5. Bibelunterricht zur Aufdeckung der Wirklichkeit auf Gott hin
Die folgenden Überlegungen verstehen sich nicht als fundamentaltheologische Darlegungen. Die Problematik der religiösen Rede von Gott in ihrer komplexen Differenziertheit und Vieldimensionalität bleibt unberücksichtigt.
Grundlage dieses Schwerpunktes ist es, dass der Mensch nicht rein innerweltlich betrachtet wird, sozusagen als einer, der sich mehr oder weniger im Kreis dreht, sondern in seinem Aufgehobensein in einem größeren Ganzen, in seinem Bezug auf eine Transzendenz. Von ihr erhält der Mensch auch sein Ziel, seinen Sinn des Daseins und Soseins. Er wird in seinen ihm vorauseilenden Sinnhorizont geleitet. Durch die Begegnung mit Gestalten des Alten Testamentes oder Jesus soll er erfahren, wie man mit dieser anderen Realität umgehen kann, welche Erfahrungen mit ihr gemacht wurden und bis heute gemacht werden.
Durch die Art und Weise wie gewisse Bibelstellen von der Kraft Gottes sprechen kann auf seine Wirklichkeit geschlossen werden. Transformiert man diese Stellen korrekt, wird diese Kraft auch heute erfahrbar. Bibel stößt uns auf die größere Dimension (Wirk-lichkeit), auf den geistigen Bezug von Materie und auf die Herrlichkeit der kommenden Existenz. Der Mensch soll zu diesen Dimensionen aufsteigen und Anteil daran haben. Bibel als Offenbarung Gottes wird zum Ansporn, selbst in den Offenbarungsprozess einzusteigen. Dabei wird es nicht ausbleiben, dass sich Gott als der Unvorhergesehene, Anders-als-Gedachte und Unverhoffte erweist. Die aktuellen Probleme sind damit keinesfalls gelöst, sondern es wird nur ein größerer Horizont bereit gestellt.
Es erscheint angebracht eine Einführung in modernes Reden von Gott vorzuschalten, um Missverständnisse zu vermeiden. Zum Beispiel, dass diese größere Wirklichkeit recht verschiedene konkrete Namen haben kann. Die diversen Passagen in der Bibel verweisen auf recht unterschiedliche Aspekte dieses „ES“: des Vertrauens, der Fürsorge, der Sicherheit, Sinnhaftigkeit , der auf uns zukommenden Befreiung und Erlösung , des Wagnisses, des Unbegreiflichen, des unbezwingbar Guten, des Zukunft-Verheißenden, des Wunderbaren oder auch des Urgrunds.
Zielformulierungen
— Biblische Redeweisen von Gott von unbiblischen unterscheiden
— Biblische Redeweisen von Gott einander gegenüber stellen und
— sie als Möglichkeit erkennen, Transzendenz zur Sprache zu bringen
— Biblische Prädikate Gottes in ihrem Kern (=symbolhaft) und
— in ihrer geschichtlichen Bezogenheit (=Relativität) erkennen
— Entsprechungen im eigenen (Er-)leben suchen
2.6.6. Bibel und Kultur
Gegenwärtige Kultur und Gesellschaft haben viele mittelbare und unmittelbare Wurzeln in der Heiligen Schrift. Wer nicht quasi aus zweiter Hand leben möchte beschäftigt sich direkt mit den Wurzeln.
Auch außerhalb der offiziellen Kirchen hat die christliche Überlieferung eine anerkannte Funktion (vg. 2.3. b, bis e,).
Selbst Gegenwartskunst und -Literatur hat biblische Bezüge. Nach Jauß verhilft ist es ja das Anliegen der Bibel, ihr ein „aktuelles Dasein“ zu schenken, und das wird nicht ohne -subjektives -Lesen und Verstehen gehen. Damit wendet er sich gegen die geläufige „herrschende Objektivitätsideologie“.
Kritik: Die künstlerischen Werke können nur erst Anreize gegen, biblische Stellen zu interpretieren und zu transformieren. Ob damit Wert und Aussage einer solchen Stelle besser verstanden wird ist nicht garantiert. Vielleicht wenn man – wie Dormeyer fordert (1970, s.70) – die neuzeitlichen Werke nach Gattungen ordnet und sie den parallelen Stellen der Bibel zuordnet, mit andern Worten wenn man sie in denselben Rahmen stellt, schimmert etwas von der Eigenheit durch. Man sollte demnach also nur außerbiblische Texte verwenden, die demselben Gattungsprinzip angehören.
Vorsicht und Zurückhaltung sind auch gegenüber bildlichen Darstellungen geboten (vg. 1.2.7.). Man kann daraus allenfalls eingefahrene Vorstellungsmuster ableiten, sie als symbolische oder verfremdende Sichtweisen sehen oder als Kontrast. Bestenfalls kann man mit Interpretationen aus vergangenen Zeiten mit Methoden des Strukturalismus vorgehen.
Zielformulierungen
— Unterschiede in der Bibelinterpretation von Dichtern, Malern, Bildhauern im Gegensatz zum eignen Erleben benennen
— Gemeinsamkeiten erkennen
— Kritik an der Rezeption äußern können
— Kulturelle Phänomene auf ihre implizit biblischen Wurzeln wahrnehmen können
2.6.7. Gemeinsamkeiten
Sämtliche der vorgenannten Schwerpunkte sind personbezogen. Im Mittelpunkt steht jeweils der Mensch, der sich ansprechen, vielleicht betreffen lässt. Ein Bezug von privatem und gesellschaftlichem Leben zur Bibel kann hergestellt werden, sodass Bibel erst relevant wird. Bibelunterricht als eine Spezialform eines allgemeinen Literaturunterrichts sollte dialogisch und kommunikativ sein. Die gezeigten Ansätze sind darauf hin gerichtet.
Alle die gezeigten Methoden sind offen nach vorne; sie gehen von einem gestaltbaren Bild von Bibel aus, die keine interpretatorische Einbahnstraße sein muss, sondern nach verschiedener Hinsicht aufgeschlüsselt werden kann. Alle Typen arbeiten einer abschließbaren Interpretation entgegen. Jeder Aspekt kann durch den/die anderen ergänzt werden.
Schließlich bieten alle Typen Möglichkeiten zur konstruktiven und kreativen Beschäftigung mit Bibel.
2.7. Was ist die angemessene Methode?
2.7.1. Allgemeine Bemerkungen
Jedes Verfahren, jedes Ziel und jeder Unterricht verlangt bestimmte Methoden. Sie sind nicht in die Beliebigkeit des Auslegers gelegt. Die in 1.2.3 und 1.2.7 kritisierten Einseitigkeiten der Auslegung sind auch Folge von zweifelhaften Methoden.
Nicht bewährt haben sich mittlerweile die „Formalstufen“ der Münchner Schule. Sie wurden heftig kritisiert von Stallmann, Otto, Baldermann, Halbfas und anderen. Stachel meint z.B., es gäbe schon deswegen keine „Anwendung“ als dritte Formalstufe etwa, weil nicht gesagt ist, was von den Schülern angewendet sei (1982, s.94-97).
Die Methoden sind indes immer die ausschlaggebenden Faktoren im Unterrichtsgeschehen; an ihnen offenbart sich, ob und was der Interpret will und worauf er es abgesehen hat. Im Sinn dieser Arbeit legt es sich nahe, solche Methoden zu bevorzugen, welche dem Schüler keine an sich ihm fremde Deutung aufoktroyieren und ihn mehr oder weniger manipulieren (1.2.4.), sondern welche die Transformation erleichtern (vgl. 2.1.2. und 2.2.). Es gilt, Methoden zu wählen
die dem spezifischen Typ von Bibelunterricht, den Fähigkeiten der Schüler, den Lernzielen (vgl. 2.4.2.) und den eigenen Erfahrungen angemessen erscheinen. Von Vorteil ist es, auf eine große Auswahl von Methoden zurückgreifen zu können. Meines Wissen wurde noch nicht der Versuch unternommen, zu bestimmten Schwerpunkten der Bibelauslegung oder zu bestimmten Gattungen von Texten ein Raster von Methoden anzulegen. Auf der anderen Seite sind mehrere Bücher mit Methodenvorschlägen auf dem Markt, welche allerdings nicht alle gleich gut in der Schule einsetzbar sind (Erl/Gaiser: Neue Methoden der Bibelarbei; Egger: Gemeinsam Bibellesen; Bußmann/Gertz: Glaube erfahren mit dem Luksevangelium; Stock: Textentfaltungen S.81 bis 116; Diehl, Einige Methoden für die Bibelarbeit, in KatBl. 105, S.671 bis 622).
2.7.2. Vergleich zweier Modellvorschläge
2.7.2.1. Nach Dormeyer (1978, S.118 bis 124)
Er plädiert für eine besondere Beachtung der Sprachhaltungen und – Rollen. Daraus leitet er seine „interaktionale Methode“ ab.
Folgende sechs Schritte
A, Einstimmung a, mit Dia, Musik, profaner Erzählung
b, kurze Einführung, Aufgabenstellung
c, Text unverändert bereit stellen
d, Text gegenwärtig halten durch Bild/Text
B, Erarbeitung e, Auftrag, beim Lesen die Rollen zu beobachten
der f, Aufteilung der Klasse in bestimmte Rollengruppen
Textstruktur g, Lesen mit verteilten Rollen
oder Rollenspiel
oder Nacherzählen
oder Bilderfolge erstellen
oder Hörspiel machen
C, Erarbeitung. h, Frage nach Motiven, Spitzensymbolen
der. Verdeutlichung durch Schaubilder
Textbedeutung Fragebogen mit Rollen und Beziehungen
D, Erarbeitung. i, kurze schriftliche Darstellung
der subjektiven k, Rundgespräch mit Austausch von Gefühlen,
Textwirkung Bewertungen und Einsichten
l, wesentliche Übereinstimmungen und Unterschiede
m, Modellskizzen der Textwirkung erstellen
E, Einbeziehung. n, Kontrolle durch historisch-kritischen Kommentar
der (vgl. 2.5.3.) um zu entfernen, was fälschlich-
Tradition erweise als Struktur angesehen wurde
o, Leerstellen ausfüllen
F, „Umkehr“. p, Umsetzen von Alltagsszenen oder
= Veränderung religiöser Bedeutung nachgehen
der bisherigen q, Eigene Fragen und Probleme ansprechen
Einstellung r, Verbindung mit neuem Text
s, Verbindung mit bekanntem Text, der besser ver-
ständlich erst
Charakteristischerweise lässt sich ein strukturalistisches Modell nicht ohne weiteres in den Unterricht einbauen: Schon die Einstimmung ist angelegt auf Einfühlung, ganz bestimmt aber die Elemente i,k,p und q. Dabei verlangt i, sogar eine Identifikation mit den in g, gewählten Rollen.
Besonders geeignet erscheint dieser Entwurf für Gleichnisse und Apophtegmata. Er müsste allerdings noch mit genaueren Zielangaben versehen werden und einen Schwerpunkt der Auslegung setzen. Sollte der Schwerpunkt zum Beispiel auf einem veränderten Handeln liegen, müsste noch ein Element folgen, das „Erfahrung machen“ mit einem neuen Handeln ermöglicht. Oder sollte der Schwerpunkt auf tieferer Gotteserkenntnis liegen, müssten die Punkte p, oder q, weiter ausgebaut werden. Vorstellbar ist, dass hiermit eine Einflechten in das eigene Leben und Erleben befördert wird, zumal die die Kategorien „erfahren“ bzw. „Erfahrung machen“ enthalten sind.
2.7.2.2. C.Wellens (Die Heilung eines Blinden bei Betsaida, in Religionsunterricht 9, 1979, Nr. 1, S. 11-17)
Auch er legt großen Wert auf das symbolische Auserzählen und richtet alles andere auf diese symbolische Sicht aus, damit die Geschichte am eigenen Leben nachvollzogen werden kann. Im Einzelnen:
A, Kennenlernen a, Vorlesen des Textes
b, Bearbeiten eines vorbereiteten Arbeitsblattes m mit gegliedertem Text und verschiedenen Arbeits-
Aufträgen
c, Zusammenfassen der Ergebnisse im Kreisgespräch
B, Zeitgeschicht- d, Einzelbegriffe und Textpassagen klären, die nur
liche Infor- in ihrem historischen Bezug verständlich sind
mation I. und Gattungskritik
C, Einfühlung e, Assoziatives Auserwählen der Gestalt des Blin-
den bzw. des Blindseins durch die Schüler
f, Zusammenfassen der Ergebnisse
g, Weiterführen auf andere mögliche Adressaten
D, Zeitgeschichte- h, Bedeutung der Wundergeschichte durch Vergleich
lichen Infor- mit einer nicht-christlichen Wundergeschichte
mation II. hervorheben
i, Synoptisch vergleichen
k, „Sitz im Leben“ klären
E, Opposition. l, Gegensatzbeziehung im Text darstellen:
im Text sehend – blind
F, Verbindung zur. m, Symbolische Aussagen auf einen zwischenmensch-
jetzigen Lebens- lichen Bereich beziehen
situaiton der. n, Offene Erzählsituaiton anschreiben
Schüler o, Überlegen lassen, wo man im eignen (Er-) Leben
symbolisch vom gleichen Geschehen reden kann
G, Rückvergleich. p, Zusammenfassung wichtiger Erkenntnisse der
mit dem Bibel- Exegese
text. q, Sprechen über die Kontexte im Vergleich zur
Bibel
Ebenso wie bei Dormeyer fehlt noch die genaue Zielangabe. Diese blieb dem Lehrer selbst überlassen. Und es fehlt die Benennung eines Schwerpunktes. Als Gerüst für eine Unterrichtseinheit fürwundergeschichten ist sie als Vorlage denkbar, wenn vor A, noch eine kurze Einführung vorgeschaltet wird. denn die Schüler sollten vorher schon eine Übersicht haben und unter Umständen bei der Gestaltung mitwirken können.
2.7.2.3. Eigener Versuch mit Matthäus 13, 45-46
A, Einführung a, Themenangabe und Begründung
b, Zielangabe: AnHand des Themas den Text in das
eigne Leben umsetzen können und Begründung
c, Vorstellung des „Fahrplans“
B, Text- d, Inhalt von Mt 13, 45-46 in modernisierter Form
Erarbeitung. e, Aufgabe, in Kleingruppen mit höchstens drei
Schülern eine Überschrift finden
f, Zusammenfassung der gefundenen Überschriften in
drei Spalten: Ablehnende, neutrale oder
zustimmende
C, Hintergrund- g, Text in Originalform
Information h, Rahmen („Reich Gottes“) der Passage
i, Vergleich mit apokryphem Evangelium
D, Verbindung k, Symbolische Aussage auf einen zwischenmensch-
zur jetzigen lichen Bereich beziehen
Lebens- l, Überlegen, was im eigenen Leben am meisten ge-
Situation sucht wird und wo im eigenen Leben analog
vom gleichen Geschehen geredet werden kann
E, Rückvergleich m, Neue Erkenntnisse über das „Reich der Himmel“
mit der theo- benennen und festhalten (an Wand oder Tafel)
logischen n, Eventuell im Gegensatz zur früheren Meinung
Aussage (Vorurteil) oder abgelehnten Haltung
F, Transformation o, Gestaltung des Herausgefundenen Gehalts in Form
„Erfahrung. von szenische Darstellung, Puppenspiel, eigener
machen“. Neu-Fassung oder Hörspiel
Zielangabe und Begründung
Der Text wurde einmal in Hinblick auf die „Konkurrenz zu erfahrenen Welt“ (nach Iser, siehe 2.2.1.c) gewählt, zum anderen im Hinblick auf die Gottesvorstellung von Menschen. Als Schwerpunkte der Auslegung erschien am passendsten: Eine Verbindung zur eigenen Lebensgeschichte (siehe 2.6.1.) und die Aufdeckung der Wirklichkeit auf Gott hin (2.6.5.).
Daraus ergeben sich die Grobzielangaben
— Auf dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen einen Bezug zur
Göttlichkeit sehen können und mittels der ausgewählten
Geschichte weitere Bedingungen der Gotteserfahrung kennenlernen
— die Schüler sollen ein Verfahren des Textumgangs kennenlernen,
das sie auch für andere Texte als Gleichnisse brauchen können
— die Schüler sollen dabei über sich und ihre Einstellungen nach-
denken sowie ihren Bedürfnissen nachgehen und sie formulieren
können.
Der Einstieg mit einer modernisierten Form soll eine möglichst vorurteilsfreie Begegnung mit Bibel ermöglichen und schablonenhafte Reaktionen vermeiden.
Die Feinziele für e, sind folgende:
— Die Schüler sollen das für sie Wichtige und Wesentliche herausfinden
— Sie sollen sich dabei erstmals mit dem Inhalt auseinandersetzen
— Sie sollen dies in gemeinsamer Form tun können, um Möglichkeiten einer Diskussion zu haben.
Zu f, ist zu sagen, dass damit klar wird, dass man Inhalte so oder anders beurteilen kann. Es ergeben sich verschiedene Aspekte der derselben Geschichte, und es kommt nicht darauf an, eine einzige Interpretation zu bekommen. Zum anderen ist das Auswerten in Gruppenarbeit ein positiver Verstärker, der eine weitere Beschäftigung ermöglicht. Und schließlich werden die Ergebnisse für einen der folgenden Schritte (m,) benötigt.
Zu g, Das Original nach Matthäus unterscheidet sich in ein paar Punkten von der Modernisierung. Inhaltlich ist es radikaler und wesentlich knapper. Es erlaubt deswegen keine schnelle Einstimmung, muss aber angesprochen werden, weil ja ein Ziel die Auseinandersetzung mit Bibel sein soll.
Auch gibt das Original den Rahmen für das Gleichnis an: das Reich der Himmel. Und deshalb steht es ja schließlich im Neuen Testament.
An dieser Stelle im Unterricht ist eine kurze Information über Reich-Gottes-Vorstellungen angebracht. Diese Information kann darüber hinaus als Illustration der These dienen, dass jede Textpassage einen oder mehrere Rahmen hat.
Zu i, wäre anzumerken, dass es sich im Gegensatz zu e, oder f, um eine strukturalistische Tätigkeit handelt. Der Vergleich mit dem Thomas-Evangelium soll das Eigentliche des Matthäus hervor treten lassen. Als Methoden bieten sich an: erben und Adjektive in je einer Spalte untereinander schreiben und daraus Gegensätze und Gemeinsamkeiten herausfiltern. Zum Beispiel fehlt bei Matthäus, dass der Kaufmann klug ist, ja im engeren Sinn ist er unklug. Dagegen fehlt bei Thomas, dass man nach der Perle suchen muss und dass sie schön ist. Dafür setzt er einen moralischen Schluss