Mangold in Darmstadt
Wusstest du, dass man Mangold nicht nur essen sondern auch singen kann? Der Komponist Carl Amand Mangold ist zur gleichen Zeit geboren wie Verdi – 1813.
Von ihm stammt auch ein: Tanhäuser. Und der wurde nur eine Woche nach dem Wagnerschen fertig gestellt! Und die beiden wussten gar nichts voneinander. Weil C.A. Mangold gebürtiger Darmstädter war, gefördert von Mendelssohn, Paganini, Schumann etc., und ihr vornehmster Musikus, wurde dieses sein Hauptwerk dort wieder aufgeführt, und zwar im vorletztes Jahr. Dazu fehlten aber Tenöre. Keine Problem, Päro hilft aus. Das nenn ich Spontaneität. Die haben mich sozusagen blind engagiert.
Die Mail bekam ich erst zwei Donnerstag vor der Aufführung. Geplant war eine konzertante Aufführung. Zum Glück hatten wir in Bayern am Samstag wegen allerhand Heiliger frei, sonst wär es nicht gegangen. Die Männerprobe war schon am Freitagabend, wo sich neben den Darmstädtern noch ein Münchner, ein Gladbacher, ein Stuttgarter und ein Karlsruher einfanden. Eine quasi internationale Besetzung. Am Samstag eine Durchlaufprobe, am Sonntag GP mit szenischer Aufführung. Das Ganze mit schummrigen Noten, von Studenten rekonstruiert, nachdem das originale Notenmaterial irgendwie im Lauf der Zeit unleserlich geworden bzw. nur in handschriftlichen Kopien erhalten war. Die Chormitglieder erhielten einen kopierten Klavierauszug mit handschriftlichen Textkorrekturen, die z.T. wieder rückgängig gemacht werden mussten. Und dann zwischendrin plötzlich wieder geteilter Tenor; ich hatte voll zu tun, meine Zeile überhaupt zu finden.
Der Dirigent war ziemlich nervös und hektisch, ließ alles im Originaltempo üben, weil einige schon vorher mit dem Ding zu tun hatten. Da hatte ich mächtig Dampf, kannste mir glauben. Schön, die Noten, wenn’st drin bist, waren zu bewältigen, aber die Einsätze bekam ich nicht immer richtig hin. Gut, dass es ein paar Kollegen gab, die schon vorgeprobt hatten.
Der Originalort, wo das Stück spielt, ist Eisenach, genauer die Wartburg. Bei Mangold überlebt der tapfere Tanhäuser die Prozedur ebenso wie seine Gspusi, die Innigis. Beide kommen bei Wagner ums Leben, was darauf schließen lässt, dass den Komponisten ziemlich viele Freiheiten in der Umsetzung ihrer Stoffe gegeben war. Zugegen war auch ein Regisseur aus Annaberg(!), der Bühnenbild und Kostüme etc. vorbereitet hatte und Anweisungen an Solisten und Chor gab, was sie wann noch tun sollten – außer singen natürlich. Das war nun was ganz Neues, bisher musste ich mich nur auf’s Singen konzentrieren. Und tatsächlich bekam ich Probleme, mit dem Krug in der linken Hand (Sauflied) noch die Seiten umzublättern.
Der berühmte Hörselsberg wurde bei „uns“ zu einem mittelalterlichen Bad umfunktioniert, das eine Frau Holle im Waschtrog zelebrierte. Dazu muss man wissen, dass Holle und Hölle ganz nah beieinander liegen. Man stellt sich die Hölle heiß vor, Wasser dampft darin. Frau Ho(ö)lle führt also einen Wellness-Tempel, der auf eher männliche Kundschaft zielt. Tanhäuser und Venus zeigten sich also nur spärlich bekleidet. Bei klassischen Aufführungen ist das eher selten; erst recht in der sakralen Musik, es sei denn, in der Kirchenecke steht irgendwo ein Sebastian in voller Tortur herum. Nun gut, seinen Ausflug in die „erotische Unterwelt“ sollte der arme Held dann teuer büßen, denn nicht einmal die beschwerliche Wallfahrt nach Jerusalem brachte die erwünschte Absolution.
Meine Zusammenfassung des Inhalts lautet demnach: Viel Stress bei wenig Wellness, ein deprimierender Auslandsaufenthalt, ein happy Comeback ins theutsche Vaterland und ein künstliches Happy End.
Schade, dass Mangold sein durchaus hörenswertes Talent für so einen Schinken verschwendet hat. Die Musik ist außerordentlich reich an Facetten, hochromantisch und einfallsreich. Sie bewegt sich zwischen Brahms, Verdi und Mendelssohn. An ihr hat’s nicht gelegen. Eine Zuhörerin bemerkte nach dem Konzert, der Chor hätte ihr besonders gut gefallen. Na dann.
Rückkehr am Montag früh in München: Da hatte ich noch eine halbe Stunde Zeit, bevor ich – rechtzeitig – in die Arbeit kam. Reicht doch. Da brauch ich mir nicht mehr viel Abwechslung wünschen – die hab ich ja eh.