Erziehung „light“?
In diversen Erziehungsratgebern werden Tipps empfohlen, die das Elternsein erleichtern sollen. Da wird so getan, als seien mit Elternschaft so etwas wie Rezepte verbunden, die man nur anzuwenden bräuchte – und schon soll’s ganz leicht gelingen.
Dem ist aber nicht so, wie ich an dieser Stelle schon öfters betonte. Nach Meinung von Gordon Neufeld zum Beispiel (Die Welt, 12.10.2016, S.20) steht und fällt die ganze Erziehung mit der Bindung, welche das Kind zum Vater und/oder der Mutter hat. Erziehung „heavy“ also! Es gilt demnach, zu aller erst eine intakte Beziehung aufzubauen. Und dass das nicht alle drei Wochen mal so nebenher geht, versteht sich von selbst. Elternteil ist selbstverständlich auch eine Rolle, nämlich die des – auch bisweilen strengen – Coaches mit all seinen Rollenerwartungen. Jedoch kann man sie erst dann gut ausüben, wenn zuvor die Bindung gefestigt wurde!
Ebenfalls Jesper Jus schreibt von Eltern als „Leitwölfen“. Die entscheidende Frage ist also: Wie kann ich eine vollwertige und liebevolle Beziehung zum Kind aufbauen? Und da darf das Kind sich in Abhängigkeit durchaus fallen lassen, wenn es später einmal selbstständig und selbstbewusst werden soll. Ja, die Abhängigkeit ist als simple Hierarchie ein Schutzraum für die Kinder, welche das Gefühl brauchen, umsorgt und geliebt zu sein. Wenn man zu früh damit beginnt, sie als „Alphatiere“ zu trainieren, leben sie gewissermaßen im ständigen emotionalen Alarmzustand. Und da können weder Mut noch Neugierde reifen. Zwar wirken sie nach außen stark, sind aber eher verzweifelt; schon alleine deshalb, weil von ihnen Entscheidungen abverlangt werden, deren Tragweite sie nicht überblicken und schon gar nicht verantworten können. Als Erwachsene werden sie nicht selten unsicher und aggressiv. Erwiesenermaßen resultieren am Ende sogar Essstörungen davon, wenn Kinder von früh an eine total freie Essenwahl hatten anstatt sich das Essen einfach mal vorsetzen zu lassen.
Viele von uns Vätern werden nun einwenden, dass die Beziehung zum Kind durch mütterliches Boykottieren gestört wurde. Doch die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass es nie zu spät ist, eine gute Beziehung aufbauen zu beginnen. Dazu muss sich das Kind eingeladen fühlen, in der väterlichen Gegenwart zu sein. Das passiert etwa durch die Wärme in der Stimme, durch die sichtbare Freude an ihm oder durch das Aufleuchten der Augen. Wenn diese Freude bedingungslos und einfach da ist, kann sich das kindliche Bedürfnis, gewollt, geliebt und verstanden zu sein, am besten erfüllen. Das hat erste Priorität, nicht bestimmte Verhaltensmuster.
Für den Erziehungsbedarf hält übrigens G. Neufeld die Eltern nach wie vor am geeignetsten. Wenn diese aber wegen Erwerbsarbeit ausfallen, wären die Großeltern die beste Betreuungslösung. Auf der anderen Seite gilt, dass es nicht zwangsläufig die Eltern sein müssen, an die das Kind stark emotional angebunden ist, sondern irgendeine erwachsene Person diese Funktion gut erfüllen kann. Dann fühlt sich das Kind beschützt und erträgt sogar traumatische Erfahrungen leichter.