Wohnmodelle im Widerstreit
Darf oder muss ein Kind nach der elterlichen Trennung bei beiden gleichermaßen wohnen? Der Europarat schlägt vor.
Zunächst einmal die Fakten: a, Nach wie vor verbleiben Kinder nach der Trennung zu 90% bei den Müttern, bzw. werden den Müttern zugesprochen. b, Über 40% der Väter verlieren nach der Trennung jeglichen Kontakt zu den Kindern. c, Viele Erwachsene bedauern im Nachhinein den gekürzten oder ganz fehlenden Umgang mit ihren Vätern. Einige sehen sich gar veranlasst, sich in therapeutische Hände zu begeben, um mit dem Mangel im Leben zurecht zu kommen. Muss das für immer so bleiben?
Ein nicht unerheblicher Faktor in dieser Frage ist der Umstand, dass in Deutschland in der Regel das Residenzmodell, und nicht das Nest- oder Wechselmodell gelebt bzw. angeordnet wird. Neuen Schwung bekommt die Diskussion durch eine Empfehlung des Europarats, das Wechselmodell im Trennungsfall zum Standart zu machen.
Von einer gleichberechtigten Kinderbetreuung können wir nur träumen. In der BR-Sendung „Jetzt mal ehrlich: Mama betreut, Papa bezahlt – ist das noch zeitgemäß?“ (22.2.2016) ging der Reporter Rainer Maria Jilg der Frage nach, warum ein Kurswechsel in Deutschland auf so große Widerstände stößt.
Zur Sprache kam u.a. Hans-Peter Dürr, der „Erfinder“ des sogenannten Cochemer Modells. Er will dem Leidensdruck eines „entsorgten“ oder gemobbten Elternteils durch eine Mediation zuvor kommen, bei welcher Vater und Mutter ein einvernehmliches Modell selbst erarbeiten sollen. Das Problem entsteht, wenn sich einer weigert, diese Mediation mitzutragen. Was dann? Die bisherige Lösung sieht vor, das Residenzmodell – auch gegen den Willen des Vaters – anzuordnen. Vor allem Mütter fürchten bei der Einführung eines Wechselmodells die Einbuße ihrer Privilegien, die es ihnen erlauben, durch Ausgrenzen des Vaters die Kinder – und natürlich die dazugehörigen Unterhalte(!) – für sich zu beanspruchen. Das geschieht notfalls auch durch zweifelhafte Methoden.
Eine Lösung für „Mediationsverweigerer“ wäre, diesen das Sorgerecht zu entziehen, weil Zusammenarbeit zum Besten des Kindes unabdingbar und gemeinsam Verantwortung wahrzunehmen ist. Denn die Kinder leiden ohnehin unter der Trennung am meisten, und wenn ein Kampf um sie entsteht, werden sie erst richtig zu den eigentlichen Verlierern. Diesem Kampf die Schärfe zu nehmen, kann nur im Sinn des Kindeswohles sein.
„Alltag muss man leben, den kann man nicht besuchen.“: Um diesem Anspruch gerecht zu werden, kann man das Nestmodell in Betracht ziehen. Dieses erfordert ein Höchstmaß an Zusammenarbeit. Sobald nun klar ist, dass es nicht anwendbar ist, wäre das Wechselmodell die zweitbeste Möglichkeit, die in Artikel 6 GG garantierten gleichberechtigten Umgänge/Pflege/Erziehung der Eltern mit den Kindern zu gewährleisten.
Schließlich sind es mittlerweile sogar etliche Frauen, die die bestehenden familienrechtlichen Ungleichheiten anprangern, z.B. Prof. Hildegund Sünderhauf, Prof. für Recht an der Evang. Hochschule Nürnberg, welche einen sehenswerten Vortrag in Youtube ins Netz stellte:
Auch sie sieht die größten Chancen in einer Mediation und im Wechselmodell. Oder Jeanette Hagen („Die verletzte Tochter. Wie Vaterentbehrung das Leben prägt“, Skorpio Verlag, 2015).
Was tut ein Richter, der sich nicht sofort für eine Lösung entscheiden kann? Er beauftragt ein psychologisches Gutachten. Und was tut jetzt die Regierung, um in der Wohnfrage eine Entscheidung herbei zu führen? Sie gibt eine Studie in Auftrag, bei der auch geklärt werden soll, ob ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann. Mit Ergebnissen ist in frühestens zwei Jahren zu rechnen.