Erziehungsmodelle

Gedanken zu Erziehungsmodellen

Erziehung ist nicht schwer; mit dem Produkt der Erziehung umzugehen, das ist schwer.“

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Diese beiden Volksweisheiten benennen bereits die Kernpunkte der Erziehung, nämlich  die psychosoziale und die kognitiv-mentale Entwicklung eines hilflosen Wesens zu einem reifen Menschen. 

1, In der frühesten Lebensphase geht es darum, eine fundamentale Lebenszuversicht, ein Urvertrauen im jungen Menschen zu verankern.

Jeannette Otto berichtet in ihrem Artikel in der ZEIT vom 14. Juni 2012 ausführlich von den Zusammenhängen. Sie bezieht sich auf den Münchner Psychotherapeuten Karl-Heinz Brisch, der ein Programm entwickelt hat, mit dessen Hilfe man genau sagen kann, ob eine Interaktion zwischen (Kleinst-) Kind und Mutter/Vater für das Kind hilfreich ist oder nicht. Eltern können lernen, besser auf das Kind einzugehen. Gelingen oder misslingen diese frühen Momente der Eltern-Kind-Beziehung?

In speziellen Kursen können sich Eltern darauf vorbereiten, was auf sie zukommt.  Sie lernen besser mit problematischen Situationen zurecht zu kommen, etwa wenn das Kind ununterbrochen schreit oder nicht einschlafen will. Oder -quasi als prophylaktische Maßnahme- schärfen ihr Bewusstsein, wie sich Zuneigung zeigt oder worin sich ihre Angst äußert. Oder sie können die eigenen Defizite der Bindungsgeschichte erkennen. Brisch betont ausdrücklich, wie wichtig in der Frühphase menschlichen Lebens eine sichere Bindung zwischen Kind und Eltern ist. Sie ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut und der Anfang eines erfüllten, glücklichen Lebens – und elementarer als jegliche Frühförderung! Wenn die Bindung sicher ist, kommt der Rest von allein. Diese Erkenntnis hat in den letzten zwanzig Jahren an Bedeutung erheblich zugenommen. Demnach hat der Mensch ein biologisch angelegtes Bindungssystem. Es wird aktiviert, wenn und sobald eine Gefahr auftaucht. Ein Kleinkind wendet sich in diesem Fall an die ihm vertraute Bindungsperson – und die kann neben den Eltern auch eine Krippenerzieherin sein. Bindung entsteht, wenn die betreuende Person mit Intuition und Gegenwärtigkeit, mit Feinfühligkeit und Einfühlsamkeit auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Wenn ein Kind zum Beispiel schreit (und das Schreien ist der einzige Notruf des Kindes!), heißt es eine feinfühlige Antwort darauf zu geben. „Wenn auf das Weinen nicht reagiert wird, schwächt das sein Urvertrauen in die engsten Bindungspersonen“ – so Brisch. Und dazu ist auch angebracht, gegebenenfalls das Baby im Bett der Eltern schlafen zu lassen oder zumindest im elterlichen Schlafzimmer.
Bei einem Mangel an Beziehung, Empathie und Liebe läuft in dieser Phase eindeutig etwas schief. Dann entstehen seelische Belastungen bis hin zur Traumatisierungen, die später zu aggressiven, verhaltensauffälligen Patienten führen. Und mit denen kommen dann weder Lehrer noch Eltern zurande. „Klar ist, dass niemand ständig einfühlsam sein kann“ , so Brisch, „aber es kommt auf eine bestimmte Haltung an, welche Eltern befähigt, sich auf die Signale des Babys einzulassen“.
Höchstwahrscheinlich erleben die Kinder elterliche Trennungen ebenfalls als Bindungsschwächung, was zu eben den negativen Folgen führt, wie sie auf Seite 3 beschrieben sind.

Ist eine Bindung erfolgreich zustande gekommen, dann kann ich mit dem Projekt Erziehung anfangen. Genau da scheiden sich die Geister, wie viel „Struktur“ und wie viel Freiraum ein Mensch braucht.

Ich unterscheide soziale von den motorischen, mentalen, geistigen und künstlerischen Fähigkeiten.

2, Das A und O eines sozialverträglichen Wesen ist ein gegenseitiger Respekt. Der ist nicht von vorneherein gegeben, bildet aber eine unerlässliche Voraussetzung. Und um den zu erzielen, kann eine gewisse Strenge erforderlich sein. Aber Achtung: Strenge ohne Liebe wird zur Härte. Zum Respekt gehört auch, Grenzen einzuhalten, die man den jungen Menschen erst vermitteln muss. Und diese tun sich leichter, wenn man die Grenz-Einhaltung mit Konsequenz einfordert. Das bedeutet für die Erzieher einige Mühe, und es lohnt sich, die in den ersten Babymonaten erworbene Intuition einzusetzen und die Grenzziehung so zu gestalten, dass man nicht die Bindung gefährdet. Also kurzum: Hier braucht junger Mensch einige einfühlsame Führung. Um psychische Störungen zu verhindern müssen in den Familien die grundlegenden Bedürfnisse des Kindes geachtet werden. Und es komme darauf an, Kreativität und Zutrauen, aber auch Werte und Regelbewusstsein zu vermitteln (Batzer, in der Süddeutschen vom 25.6.2012). Natürlich geschieht Sozialisierung auch im Umgang mit Gleichaltrigen oder Geschwistern. Und so gesehen ist es nicht nur Aufgabe von Eltern, sondern erfordert, dass man die Kinder sogar ausdrücklich für „Nicht-Eltern-Zeit“ frei gibt. Übrigens kommen auch Kinder besser mit Zeiten der Abwesenheit oder Abwendung zurecht, wenn man ihnen genau sagt, wann man wieder für sie – und nur für sie! – da sein wird. Und wenn man diese Zusagen selbstredend auch einhält. Zum Beispiel sage ich: „Nach einer halben Stunde Büroarbeit hab ich Zeit für euch und wir gehen zum Ballspielen in den Park. Bis dahin könnt ihr dies oder jenes tun.“ Überhaupt gehört auch das Formulieren eigener Wünsche und Bedürfnisse und Befindlichkeiten zum erfolgreichen Umgang. Ein weiteres Betätigungsfeld ist z.B. die Mithilfe im Haushalt (siehe Glosse Seite 4). Die muss nicht unter Druck erfolgen, sondern kann Spaß machen, z.B. beim gemeinsamen Kochen. Ich überließ regelmäßig die Salatzubereitung und – Würzung meiner Tochter, wobei wir zuvor schon gemeinsam beim Einkaufen entschieden haben, was es geben soll.
Ist gegenseitiger Respekt vorhanden, komm ich auch mit dem Produkt der Erziehung aus. Versäume ich hingegen ihn herzustellen, dann erzeuge ich einen selbstbezogenen Egomanen, der als Erwachsener keine Gelegenheit zum Mobbing auslässt und sich v.a. als Ellenbogenmensch hervor tut.

3, Ist der soziale Rahmen abgesteckt kann ich mit der Entwicklung der kognitiv-mentalen und motorischen Fähigkeiten anfangen. Ich bin ein entschiedener Befürworter jener Lernkonzepte, die den Kindern verschiedenste Angebote macht und sie dann in ihren Interessen mit so wenig Druck als möglich fördert. Lernen muss Spaß machen! Lust am ausprobieren! Und sich freuen an Lernerfolgen. Dazu kann ich Anleitungen geben, die darauf abzielen, dass das Kind sich selber etwas beibringt. Oder ich halte danach Ausschau wofür sich das Kind begeistert oder wofür ich es begeistern kann, Was erzeugt einen Glanz im Auge des Kindes? Kurz gesagt handelt es sich hier vielmehr um eine Art Begleitung, als um vorbestimmte zielgerichtete Lern- bzw. Zielvorgaben, die dann mit entsprechendem Druck erfüllt werden müssen. Denn wenn die Eltern Druck machen reagieren Kinder oft mit psychischen Problemen: Ängste, Störungen des Sozialverhaltens, Depressionen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Die ungeheure Erwartungshaltung von Eltern, das Programmieren der Kinder, Leistung schon im Vorschulalter, all dies werde von Konflikten in der Familie, Unzufriedenheit in der Partnerschaft der Eltern, psychischen Erkrankungen der Eltern, alleinerziehender Elternschaft oder Heimaufenthalten noch verstärkt (so H.A. Batzer in der Süddeutschen vom 25.6. 2012 Seite R2). Insgesamt fordert deshalb Lehndorfer (nach Süddeutscher vom 25.6.2012) für Kinder eine angemessene School-Life-Balance, ähnlich wie Erwachsene eine Work-Life-Balance bräuchten. Begleitung meint auch, dass ich mich mit dem Kind beschäftige, es motiviere und durch genaue Beobachtung die jeweiligen Stärken erkenne. Oder einfach geduldiges „learning by doing“ praktiziere. Also nicht beim ersten Fehlversuch gleich aus’m Häusl fahren! „Ziehen ist besser als schieben“. Genau hier ist also der Begriff „Erziehung“ eigentlich verortet. Und hier lohnt es sich, die Intuition und Feinfühligkeit, die man während der ersten Babymonate erworben hat, erneut einzusetzen. Damit trage ich der Individualität jedes Menschen Rechnung und kann mich auch das eine oder andere Mal überraschen lassen. Nach getaner Arbeit darf ich mein Kind dann in Dankbarkeit entlassen. Hinaus in die Freiheit eines selbständigen und selbstbewussten, kreativen und mitfühlenden Wesens.