Mays Ave Maria

Mays Ave Maria

Unser Chor ist dem A-capella-Gesang mehr verpflichtet als dem symphonischen und hat vielleicht gerade deswegen einen treuen Freundeskreis. Einmal war die Kirche dichter gefüllt als sonst, was ersichtlich daran lag, dass wir als letzten Programmpunkt das „Ave Maria“ aus Winnetou III von Karl May angekündigt hatten. „Die hoffen wohl, dass da ein wenig geschossen wird“, raunten sich die Witzbolde in den Männerstimmen zu.

Kürzlich haben wir den Chorsatz wieder mal aufgelegt, erstens, weil er gut zu singen ist, und zweitens, weil Karl Mays hundertster Todestag begangen wurde. Ich sage das nicht, um unser Ensemble zu rühmen, sondern um das schöne Stück auch jenen ans Herz zu legen, die es möglicherweise nicht kennen oder gar für eine nachhinkende Faschingsgaudi halten. Es gibt dieses „Ave Maria“ tatsächlich und zwar für Männerchor (Es-Dur) und für gemischten Chor (B-Dur). Wer nähere Bekanntschaft damit und mit anderen Kompositionen Mays machen will, der werfe einen Blick in den Band „Karl May und die Musik“, Bamberg 1999.

Winnetou III-Leser kennen die herzzerreißende Geschichte des „Ave Maria“. Da kommen also Old Shatterhand, Winnetou und „Spürauge“ in eine Siedlung, wo eben die Abendglocke geläutet und vierstimmig dieses Lied gesungen wird. Es stammt, für Karl-May-Freunde keine Überraschung, von Old Shatterhand respektive Karl May selbst, wobei May, um den Anschein allzu großer Selbstherrlichkeit zu vermeiden, hier einen anderen Komponisten vorgeschoben hat.

Der dramaturgische Wert des Liedes ist gewaltig, denn mit ihm wird die Bekehrung Winnetous zum Christentum – innerlich längst geschehen – vorangetrieben und zum Abschluss gebracht. Leider muss ja der Apache nun in die ewigen Jagd- und Paradiesgründe abtreten und noch im Sterben wünscht er sich seines Blutsbruders Komposition, in deren dritter Strophe es unmissverständlich heißt: „Es muss, es muss gestorben sein“.

Der letzte Ton verklingt, doch ehe Winnetou stirbt, hat er noch die Kraft, dem Freund ins Ohr zu flüstern: „Shar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Leb wohl!“ Walther Killy hat die Szene mit gutem Grund der Sammlung „Deutscher Kitsch“ einverleibt.

Hier noch ein Hinweis für Leute, die dem tridentinischen Ritus anhängen und das „Ave Maria“ Mays gern lateinisch sängen. Der Text dazu findet sich in der von Johannes Linnartz besorgten Übersetzung „Winnetou Tomas Tertius“, Bamberg 1998, in der Winnetous letzte Worte folgendermaßen lauten: „Carlille, Salvatorem credo, Vinnetou Christianus est. Vale“ Old Shatterhand heißt in dieser Fassung übrigens „Venus Catabolochir“, aus Spürauge wird „Oxyoptes“ und was die ewigen Jagdgründe angeht, so werden sie mit „Aeterni Salus Venatorii“ wiedergegeben.